Tägliche Archive: 14. Juli 2015

Das Hendiadyoin – eine rhetorische Paarformel

Denkmal zur Erinnerung an den angeblichen Import der sieben freien Künste nach Aachen durch Karl den Großen

Denkmal zur Erinnerung an den angeblichen Import der sieben freien Künste nach Aachen durch Karl den Großen
Foto und Bildrechte: Norbert Schnitzler / GNU-Lizenz für freie Dokumentation

Stilfiguren dienen der Anschaulichkeit eines Textes. Als rhetorische Figuren sollen sie die Aufmerksamkeit des Hörers binden. Sprachliche Figuren sind zu Bildern geronnene Worte. Sie sind Stilmittel, die in Bilder übertragen vor dem inneren Auge eine lebendige Gestalt annehmen. Das griechische Wort für eine solche Übertragung ist Metapher.

Eine dieser rhetorischen Figuren ist das Hendiadyoin. So schwierig die Aussprache ist, verweist sie ins klassische Altertum, die Wiege der Rhetorik als Kunst.

Das Hendiadyoin setzt sich aus drei schlichten altgriechischen Wörtern zusammen: hen dia dyoin, ἓν διὰ δυοῖν, die „eins durch zwei“ bedeuten. Ausgedrückt wird damit, dass zwei formelhaft miteinander verbundene figürliche Begriffe einen einzelnen abstrakten so veranschaulichen, dass er zu einer komplexen Aussage wird. Dies ist rhetorische Absicht, denn erst die prägnante Zwillingsformel erzeugt Resonanz. Es entsteht eine gleiche Struktur durch phonologische Reime – Lug und Trug, rank und schlank, mit Sack und Pack -, durch Alliteration – frank und frei, klipp und klar, Heim und Herd, Haus und Hof, in Bausch und Bogen, mit Rat und Tat, mit Schimpf und Schande, mit Mann und Maus – oder durch Synonyme – hinter Schloss und Riegel, in Sack und Asche, nicht Glück noch Stern, in Treu und Glauben. Würde nur eines der beiden Elemente gebraucht, ginge durch den Verlust der Bildhaftigkeit auch die Abstraktionsebene der Gesamtbedeutung verloren.

Ein weiteres Merkmal des Hendiadyoins ist die Metapher, also die Übertragung eines Sachverhalts in ein Bild, die erst in der Zwillingsformel des Hendiadyoins wirksam ist. Ein Beispiel ist das hierzulande allgegenwärtige „Feuer und Flamme für Olympia“. Es bezieht sich in doppelt bildhafter Weise auf die Begeisterung für die Olympischen Spiele in Hamburg – also das olympische Feuer, entzündet durch die von weit her gebrachte olympische Flamme.

In der rhetorischen Analyse zeichnet sich die Metapher „Feuer und Flamme“, begeistert, durch ihre Untrennbarkeit aus, denn der Verlust eines der beiden Elemente ließe das Bild des leidenschaftlichen inneren Brennens in sich zusammenfallen. Die Metaphorik stellt sich also erst durch die rhetorisch erklügelte Verdoppelung her.

Entscheidend für eine Definition als Hendiadyoin ist, dass ein gewöhnlicher Ausdruck verbunden mit einem sinnverwandten Gegenstück verstärkt wird wie durch ein herkömmliches Attribut. Dieses scheinbar pleonastische Kennzeichen macht das Hendiadyoin rhetorisch zum „Ohrenschmeichler“ und „Ear-Catcher“.

Das Hendiadyoin ist ein Stilmittel, das ein konkretes, eingängiges Zwillingsbild zur Paarformel ummünzt, um ein komplexes Verständnis einer abstrakten Situation zu erzeugen.