Archiv nach Monaten: März 2020

Schuppentiere – Opfer einer irrationalen Panik

Weißbauch-Schuppentier (Manis tricuspis)

Weißbauch-Schuppentier (Manis tricuspis)
Urheber: Николай Усик / http://paradoxusik.livejournal.com/
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Bis vor gar nicht langer Zeit wusste kaum einer von ihrer Existenz. Schuppentiere, Pangolins , sind archaische Säugetiere mit ungewöhnlicher körperlicher Ausstattung, einer für Säuger ungewöhnlichen Anpassungsleistung, Überbleibsel aus einer vorgeschichtlichen Welt.

Pangolin ist aus dem Malaiischen entlehnt, Peng-guling, üblich im englischen und französischen Sprachraum. Der zoologische Name lautet Manidae, „Totengottähnliche“. Das ist aus dem Lateinischen abgeleitet: manis, Plural manes sind römische Totengötter, ein Bezug, der auf ihre verborgene Lebensweise deutet. Die Ordnung nennt sich Pholidotae, altgriechisch etwa „Krummbeinige“. Entwicklungsgeschichtlich zählen sie zu den Carnivoren, Jägern, Fleischfressern.

Statt eines Haarkleides sind sie auf den Außenseiten ihres Körpers von einem Panzer aus dachziegelartig übereinander angeordneten Schuppen bedeckt, die an einen Tannenzapfen erinnern, ein Aussehen, das ihnen den Namen Tannenzapfentiere eingebracht hat. Dieses Äußere macht sie trotz ihrer bedächtigen Fortbewegungsweise unattraktiv für jeden Fressfeind, der am Ende ratlos vor einer abweisenden Schuppenkugel steht, wenn seine vermeintliche Beute, sein Junges in seinem eingerollten Körper schützend, einfach vor ihm liegen bleibt. Das erinnert an heimische Igel oder amerikanische Skunks, die sich bei Gefahr zusammenziehen und ihr Stachelkleid abweisend aufrichten. Dieses Verhalten ist eine vegetative, instinktgebundene Reaktion und rührt aus einer Zeit, als das Feind-Opfer-Verhältnis noch ein anderes war, eine Antwort auf Bedrohung, die dem menschengemachten Fortschritt nicht standhält.

Schuppentiere leben tagsüber schlafend in verborgenen Winkeln, Erdbauten unter umgestürzten Bäumen mit Gängen und Schlafkammer, deren Eingang mit Schlamm verschlossen wird, oder in unzugänglichen Baumhöhlen, die sich menschlichem Zugriff entziehen. Spürhunden, die auf ihren Geruch abgerichtet sind, sind diese Verstecke nicht gewachsen. Das erleichtert die Jagd auf die tagscheuen Tiere. Schuppentiere sind dämmerungs- und nachtaktiv, leben solitär, kümmern sich nur um ein einzelnes Junges, das sie in ihrer Höhle versorgen, bis es an den Rücken der Mutter geklammert die Welt erkunden kann. Sie klettern mit drei langen Grabkrallen umständlich sich auf- und abwärts hangelnd und gehen gemächlichen Schrittes ihrer Nahrungssuche nach. Sie ernähren sich von Ameisen und Termiten, brechen ohne Eile deren Baue auf und suchen mit der ausfahrbaren, klebrigen Zunge ihres zahnlosen Kiefers nach ihrer spezifischen Nahrung, Eiern und Larven staatenbildender Erdinsekten. Ihre Gelassenheit beziehen sie aus ihrer drachenhaften Unverwundbarkeit, fehlender Nahrungskonkurrenz und dem Schutz der Dunkelheit. Ihr einziger Feind ist der Mensch, aber das erkennt ihr Wahrnehmungs- und Nervensystem nicht, wenn es befiehlt, sich im Verborgenen zu halten, im Zustand des Aufgerolltseins die Schuppen aufzustellen und einen skunk-ähnlichen Stoff aus den Analdrüsen zu verbreiten.

Temminck's Schuppentier

Temminck’s Schuppentier – Quelle: Illustrierter Leitfaden der Naturgeschichte des Thierreiches, 1876 – public domain

Was macht sie aber jetzt plötzlich so berüchtigt, zu Hassobjekten, zu Wesen, deren Berührung man scheuen müsste, die wie Fledertiere zu todbringenden Geißeln der Menschheit werden?

Wie Fledermäuse werden sie als exotische Delikatessen auf den Wildtiermärkten Chinas und Afrikas gehandelt. Ihre Schuppen, sogar auch aus Westafrika eingeführt, gelten besonders in der traditionellen chinesischen Medizin als Aphrodisiakum und Mittel zur Potenzsteigerung. Daher ereilt Schuppentiere die gleiche Verfolgung wie Nashörner, Tiger und Haie, die wegen ihrer besonderen natürlichen Ausstattung bejagt werden.

Ein solcher Wildtiermarkt, wie der im chinesischen Wuhan, ist Ort ungewöhnlichen Kontakts zwischen Menschen und zwischen Tieren, deren Habitate sich normalerweise nicht berühren. Die Tiere werden, auf engstem Raum zusammengepfercht, lebend angeboten. Der Käufer kann ihre Schlachtung verfolgen oder sie lebendig mitnehmen.

Werden also virenverseuchte Wildtiere, deren Ansteckungsrisiko ungewiss ist, weil die Wege, die ein Virus nimmt, unerforscht sind, mit anderen zusammen in benachbarten Käfigen gehalten, kann das Virus leicht Übertragungsschranken überwinden und zur Infektionsquelle für den Menschen werden. Dann steht das verhängnisvolle Tor einer Mensch-zu-Mensch-Übertragung offen und der Infektionsanstieg wird unabsehbar.

Letztendlich trägt in erster Linie der Mensch die Verantwortung für die Verbreitung des Virus, weil er die nötige Distanz zu den Wildtieren aus den unterschiedlichsten Gründen nicht gewahrt hat. Die Zerstörung von gewachsenen Ökosystemen, aber auch der ungebremste Handel mit Wildtieren, macht den zunehmenden Ausbruch von Epidemien immer wahrscheinlicher.

Fledermäuse – flatternde Nachtgespenster

Zwerg-Fledermaus (Pipistrellus pipistrellus)

Zwerg-Fledermaus (Pipistrellus pipistrellus)
Urheber: Manuel Werner, Nürtingen (Arbeitsgemeinschaft Fledermausschutz Baden-Württemberg)
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In einem mittelalterlichen Gemäuer eines südfranzösischen Dorfes hielt ich einmal ein verirrtes Flattertierchen in meinen Händen. Federleicht und so zart, dass ich das Klopfen seines Herzens in den Fingern spürte. Bewegliche Ohren an einem stumpfnasigen Köpfchen, durchscheinende Gliedmaßen, eingefaltete Flughäute, vom Stummelschwanz bis zu den „Armen“ reichend: Ein winziges Fellbündel, nicht zum Laufen, sondern zum Fliegen bestimmt. Kein Vampirgebiss schlug sich in meinen Hals, kein unheilvolles Schwirren und Flattern entspann sich, als es erleichtert durchs Dachfenster und in die Freiheit der hereinbrechenden Nacht entfloh.

Seit einiger Zeit rücken Fledertiere ins Licht des öffentlichen Interesses. Aber sie stehen in keinem guten Licht. Sie sind nicht einmal Nagetiere wie Ratten, die Überträger der Pest. Sie sind nächtens jagende Insektenfresser, erkennbar an ihrem spitzzahnigen Insektenfressergebiss, wie man es von unterirdisch wirkenden Maulwürfen und ruhelosen Spitzmäusen kennt. Fledermäuse sind lichtscheue, nachtaktive Gesellen. Sie stehen im Verdacht, todbringende Seuchen wie Ebola, Sars, Mers und zuletzt Corona über die Menschheit zu bringen. Aber so einfach und schematisch verhält sich sie Krankheitsübertragung nicht.

Townsend-Langohr (Corynorhinus townsendii)

Townsend-Langohr (Corynorhinus townsendii) – Urheber: PD-USGov, exact author unknown gemeinfrei

Fledermäuse, „Mäuse“ der Lüfte, dieses unsichtbare, lautlos flatternde Getier, sind Säugetiere, ausgestattet mit Flüghäuten und einem ungewöhnlichen, hoch spezialisierten Wahrnehmungssystem. Statt überempfindlicher konventioneller optischer und akustischer Fähigkeiten, wie sie Jägern und Gejagten der Dunkelheit eigen sind, verfügen sie über ein besonderes Ortungsorgan, das dem Echolotsystem eines Kriegsschiffes gleicht. Es gibt Auskunft über die Entfernung und Größe eines Objekts, indem dessen Resonanzstärke ermittelt wird. Diesen Daten werden lebenswichtige Informationen zur Lokalisation und Übereinstimmung des Beuteschemas sowie zur Verhinderung von Kollisionen mit Hindernissen entnommen.
Das Echolotsystem erlaubt Fledermauspopulationen, sich in unzugänglichen Höhlengängen einzurichten und den Tag in stickigem Koloniendunkel zu verdämmern. Eng aneinander geschmiegt hängen sie kopfüber an eigens dazu bestimmten Krallen und erwarten die nächtliche Jagdzeit.

Was sollte sie nun bedrohlich machen?

Fledermäuse sind Virenträger, deren enges Zusammenleben sie mit einer vielfältigen gruppenspezifischen Immunabwehr, einer Herdenimmunität vesieht. Ihr Immunsystem duldet wahrscheinlich ein höheres Virenpotential als das menschliche. Entscheidend könnte dabei die Rolle sein, die Interferone,
von lateinisch interferre, eingreifen, spielen. Es sind Proteine, die eine immunstimulierende, antivirale Wirkung entfalten, indem sie die Zellen gegen die Erreger abschotten.

Zum Zeitpunkt der Erstinfektion in China wurden keine Fledertiere auf dem Wildtiermarkt in der 11-Millionen-Metropole Wuhan angeboten, weil sie sich noch im Winterschlaf befanden. Hinzu kommt, dass die Viren, die Fledermäuse besiedeln, Menschen erst etwas anhaben können, wenn sie über einen Zwischenwirt modifiziert in den menschlichen Körper gelangen. Möglicherweise ist die Ansteckung auf dem dichtbevölkerten Wildtiermarkt von einem infizierten Menschen ausgegangen. Es ist aber auch möglich, dass es sich bei dem Erstkontakt um ein exotisches Wildtier, vielleicht ein Schuppentier, handelte und dass bei einer früheren Berührung mit dem Menschen entweder noch gar kein Virenbefall stattgefunden hatte oder schon eine Antikörperbildung ausgelöst worden war. Man kann die Seuche also erst völlig durchschauen und einen Ansatz zur Durchbrechung der Kettenreaktion aufspüren, wenn man das seinerseits immune Tier identifizieren kann, das als Zwischenwirt das Virus auf den Menschen als letztes Infektionsglied übertragen hat. Aber solange Menschen noch keine eigenen Antikörper bilden können, muss man auf einen künstlich entwickelten Impfstoff bauen, der uns diese Immunfunktion in kurzer Frist abnimmt.

Libellen – wendige Jäger im schillernden Gewand

Zeitlupe: Fliegende Libelle in Zeitlupe
Urheber: Joris Schaap
Creative-Commons-Lizenz

Eine Haarspange aus meiner Kinderzeit hieß Libelle. Sie bestand aus einem aufgebogenen Oval, durch das ein beweglicher Dorn geführt wurde, der eine Haarsträhne waagerecht fixierend unterlief. Was sie mit dem flirrenden Insekt gemeinsam hat, erschließt sich erst bei genauerer Betrachtung.

Der Name Libelle ist bei der Haarspange wie bei dem Insekt eine bildhafte Ableitung. Lateinisch libra bedeutet Waage. Die Diminuitivendng -elle macht daraus eine „kleine Waage“. So elfenhaft der Name Libelle für das schillernde, durchsichtig geflügelte Wesen klingen mag, ist er in Wirklichkeit doch ganz profan hergeleitet: Betrachtet man den Körper einer Libelle, so kann man die T-förmig zum langgestreckten Leib sich rechtwinklig ausstreckenden gleichförmigen Flügelpaare wie Balken einer altertümlichen Handwaage ansehen.

Libellen sind hierzulande wohl die anmutigsten und farbigsten Insekten. Ob im Ruhezustand oder im Flug – sie wirken in ihrer spektralen Farbenpracht, der gläsernen Durchsichtigkeit ihrer feingeäderten Flügel, dem nervös wippenden, langgestreckten Leib und einem von riesigen, schwarzglänzenden Augenpaaren beherrschten Kopf, überirdisch schön und respekteinflößend. Unter den heimischen Fluginsekten sind sie mit einer Flügelspannweite von bis zu mehr als sieben Zentimetern die auffälligsten. Aus urzeitlchen Versteinernungen aus dem Trias und dem Carbon, als das Leben auf der Erde von Insekten beherrscht wurde, kann man ersehen, dass sie damals die zehnfache Größe erreichten.

In der Kunst beleben sie Jugendstilornamente als feingliedrige Wesen, die wie Schwäne, Elfen, Lilien und Blütenranken den dekorativen Charakter eines romantisch verklärten Zeitgeistes zum Ausdruck bringen.

Paarung der Libellen

Paarung der Libellen – Foto: Gerthorst78 – Creative Commons

Im Gegensatz zu anderen Fluginsekten können Libellen ihre Flügel im Ruhezustand nicht auf dem Rücken zusammenfalten. Der bewegliche Kopf, der sich deutlich vom Rumpf abhebt, wird beherrscht von zwei großen Facettenaugen. Drei weitere, mittig darüber angeordnete Augen, vermitteln dem optisch und flugtechnisch hochspezialisierten Insekt Angaben zum Stand des Horizonts und gewährleisten die Erhaltung des Gleichgewichts bei hoher Fluggeschwindigkeit. Außerdem ist der Kopf mit klauenartiken Mundwerkzeugen, Mandibeln, zur Ergreifung der Beute ausgestattet. Gerade sie sind die Merkmale, aus denen sich die zoologische Bezeichnung der Libellen herleitet: Odonata, Gezähnte. Etymologisch erkennt man darin griechisch δόντι, dónti und lateinisch dens, dentis Zahn.

Ein weiteres Merkmal hebt die Libelle von anderen geflügelten Insekten ab: Ihre Flügel bewegen sich unabhängig voneinander wie Rotoren, einer Technik, die sie in der Jagd besonders erfolgreich macht. Mitten im Flug kann sie abdrehen oder stehend verharren. Ihre maximale Fluggeschwindigkeit erreicht 50 km/h; ihr entrinnt keine Beute.

Diese Flugfertigkeiten haben sie zum Vorbild für einen Hubschrauber, einen Helikopter, gemacht.

Der Name Helikopter ist dem Griechischen entlehnt. Wörtlich übersetzt „Drehflügler“, setzt das Wort sich aus griechisch ἕλιξ hélix, Gen. ἕλικος helikos, Windung und πτέρον, ptéron, Flügel, zusammen.
Der griechische Namensbestandteil -pter, Hinweis auf Flügel, taucht in der biologischen Taxonomie häufig auf. Er ist allerdings schwer zu identifizieren, weil unserem phonetischen Empfinden der Laut pt fremd ist. Also trennt man das Wort Helikopter nicht, wie es seiner Herkunft und Zusammnsetzung entspricht: heliko-pter, sondern „*Helikop-ter“.

Ein Hubschrauber steigt und landet wie eine Libelle senkrecht. Und auch wie eine Libelle ändert er unmittelbar die Flugrichtung. Seine Flügel, die Rotoren, vermitteln das Bild voneinander unabhängig rotierender Libellenflügel, während ein langgestreckter, sich nach hinten verjüngender Flugkörper das Gleichgewicht hält.

Die Libelle ist ein Raubinsekt, ein Jäger, der alles ergreift, das er auf dem Wasser oder in der Luft überwältigen kann. Neben Insekten und Spinnen gehören sogar kleinere Libellen und Kaulquappen zu ihrem Beutespektrum. Man sieht Libellen meistens in der Nähe stehender, wasserpflanzenreicher Gewässer, wo ihre Entwicklung beginnt. Sie reicht von der Larve, der larva,, lateinsch Gespenst, Hülle, bis zum adulten Lebewesen, der imago, lateinisch Bildnis. Feuchtgebiete sind ihre bevorzugten Jagd-, Paarungs- und Brutstätten. Hier begegnet man Libellen im Tandemflug, einer speziellen, aufeinander abgestimmten Paarungsstellung. Das Männchen klammert sich dabei an das Weibchen und bringt sein Sperma in eine Öffnung am Hinterleib des Weibchens ein. Dieses lässt seinerseits die befruchteten Eier je nach Art ins Wasser oder eine ausgetrocknete Senke fallen oder klebt sie als Paket an senkrecht aufragende Wasserpflanzen, die den in aufrechter Haltung wachsenden Larven in ihrer frühen Entwicklung Halt geben. Dieses Larvenstadium ist das längste im Insektenleben der Libellen. Sie verbringen es nach dem Schlupf als hochspezialsierte Jäger im Wasser. Sie brauchen für ihr Wachstum, das mit mehreren Häutungen verbunden ist, eiweißreiche, tierische Kost. Ausgerüstet mit einem ausfahrbaren Fangkorb unter dem Kiefer machen sie Jagd auf alles, dessen sie habhaft werden.

Erst nach der Verpuppung der nach menschlichen Vorstellungen hässlichen, graubraunen Larve, die im schlammigen Uferbereich auf Beute lauert, erscheint das fertige Fluginsekt in seiner ganzen Schönheit. Der energiezehrende Lebensabschnitt als Imago ist nur von kurzer Dauer. Er dient der Vermehrung – der Kopulation und Eiablage. Damit hat das Insekt seine Bestimmung erfüllt und stirbt mit dem Ausgang des Sommers.

Libellen sind zwar in ihrer Jagdtechnik hochspezialisierte Raubinsekten. Entgegen aller Befürchtungen sind sie für Menschen ungefährlich. Sie haben keinen Giftstachel und ihre Beißwerkzeuge können nur ihren Beutetieren etwas anhaben.

Corona – die existentielle Beunruhigung durch ein neues Virus

3D-Grafik des SARS-CoV-2-Virions

3D-Grafik des SARS-CoV-2-Virions
Urheber: CDC/ Alissa Eckert, MS; Dan Higgins, MAM
gemeinfrei

Ein Gespenst geht um die Welt. Gerade noch schien es weit weg, im fernen China. Nun ist China gar nicht mehr so fern wie noch vor ein paar Jahren. Es ist nicht mehr das Entwicklungsland, nein, es ist im Begriff, alles bisher Dagewesene technisch, wissenschaftlich und ökonomisch hinter sich zu lassen.

Das Gespenst hat den wohlklingenden Namen Corona, lateinisch Kranz, Krone. Diesen Namen teilt das Virus nicht nur mit einem Mädchennamen, sondern auch mit einer Erdbeersorte, deren runder Fruchtkörper – erdbeerspezifisch – von Samen umgeben ist. Der Name verbildlicht das Aussehen des kugeligen Viruskörpers, umgeben von stachelförmigen Ausstülpungen, die ihn wie die Strahlen einer Sonne umgeben. Auch die Sonnenstrahlen werden Corona genannt. Daraus leitet sich der Name des Corona-Virus ab.

Mithilfe der Stacheln dockt das Virus an eine lebende Zelle an. Ein virusgebundenes Enzym verschafft dem fremden Organismus Zugang zu ihr. Ein Enzym ist ein Steuerungselement für die biochemischen Prozesse der Zelle. Der Begriff Enzym ist aus altgriechisch ἐν- en-, in-, und ζύμη zýmē, Hefe, abgeleitet. Damit ist gemeint, daß ein Enzym wie ein Gärstoff einen Umwandlungsvorgang auslöst. Das Protein im Stachel des Virus öffnet die Zelle und bewirkt deren Verschmelzung mit der Virushülle. So gelangt die Erbgutinformation des Virus in den inneren Kern der Zelle, in der sich nun ein gigantischer Umpolungungsprozess in Gang setzt. Indessen geht die Zelle, sobald sie ihre Funktion als Vermehrungskörper erfüllt hat, wie ein geplatzter Luftballon zugrunde und setzt die frisch erbrüteten Viren frei, die nun ihrerseits gesunde Zellen befallen, um sie effektiv, zu ihren eigenen Gunsten, zu steuern. Und abermals vollzieht sich der gleiche Kontrollmechanismus, der die Zahl gekaperter Zellen ständig erweitert.

Das Virus erreicht so in seiner exponentiellen infektiösen Tragweite eine unbekannte Dimension.

Das liegt daran, dass eine exponentielle Entwicklung im Gegensatz zu einer linearen für das menschliche Gehirn schwer vorstellbar ist. In einer linearen Funktion erhöht sich ein Wert stetig, in einer exponentiellen steigend. Es findet ein Vermehrungsprozess statt, der sich selbst beschleunigt.

Er beginnt gemächlich, dann vollzieht er sich immer schneller, bis er schließlich einen fast senkrechten Anstieg der Infektionsrate erreicht, weil beim exponentiellen Wachstum in einem festen Zeitraum jeweis eine Vervielfachung der Fallzahl stattfndet. Legt man dem dem exponentiellen Wachstum also eine Reproduktionszahl – den R-Wert – nur eine geringfügig erhöhte Fallzahl über 1 zugrunde, beginnt bereits ein exponentieller Anstieg der Inzidenzen, der Fallzahlen.

Liegt der Faktor bei 1, steckt jede infizierte Perspn jeweils eine weitere an. Also stecken 3 Pesonen 3 weitere an. Hier beginnt der leicht vorhersagbare lineare Anstieg: Diese 3 geben das Virus wiederum jeweils an einen weiteren, also einen verdoppelten Anstieg. Steckt aber jemand stattdessen 3 weitere an, beginnt das expoentielle Wachstum, das bald explosionsartig ansteigt: Jeder dieser 3 ist Überträger bei 3 weiteren, also 9, diese wiederum ihrereits von je 3, also 27. Danach steigt die Anahl auf 81, dann auf 243, 729, 2267 und so geht es immer rasanter weiter. Eine stetig wachsende lineare Kurve ist lange überholt, während die exponentielle ins Unermessliche ansteigt.

Das Virus SARS-CoV-2 ist eine Mutation bekannter Influenza-Viren, die schon MERS und SARS (1) verursacht haben, grippale Viruserkrankungen der Lunge, die offenbar von Wildtieren ausgehen, jedoch, um übertragen zu werden, eines Zwischenwirts bedürfen, der seinerseits eine Übertragung auf einen anderen ermöglicht. Dieser Krankheitsüberträger ist bisher noch unbekannt, sodass die vollständige Infektionskette noch im Dunkel liegt. Es gibt Vermutungen, dass es sich um ein Schuppentier handelt, das streng geschützte Pangolin, ein exotisches, archaisch anmutendes Säugetier, dessen Fleisch als Delikatesse, dessen Schuppen als Potenz- und aphrodisierendes Arzneimittel der traditonellen chinesischen Medizin illegal gehandelt werden.

Wurden SARS und MERS noch als fernöstliche Erscheinungen wahrgenommen, versetzt das neuartige Corona-Virus CoV-2 die Welt nun in Alarmstimmung.

Influenza Virus

Influenza Virus
public domain

Viren sind Erreger, die uns aus unkomplizierten Krankheitsverläufen wie einem Schnupfen bekannt sind. Schwerer wiegt dagegen schon das Grippe-Virus, das Influenza-Virus. Sein klangvoller Name, der aus lateinisch influere, einfließen, abgeleitet ist und Begriffe wie Einfluss, Beeinflussung umfasst, lässt schon eher an Gefahr denken. Und tatsächlich, Influenza, die „echte“ Grippe – also alles andere als ein grippaler Infekt, eine harmlose Erkältung – ist eine ernste Infektion, hervorgerufen durch Viren aus einer äußerst vielfältigen Familie.

Ein Virus ist ein Organismus, den als Krankheitserreger zu eliminieren, deshalb so schwierig ist, weil man noch kein Mittel zu seiner Bekämpfung kennt. Man kann sich das Virus vorstellen als eine Art Parasit, der eine Zelle kapert und am Leben eines lebendigen Organismus „saugt“, indem er sie für seine eigenen Bedürfnisse umprogrammiert, sie also entgegen ihrem ureigenen Lebenszweck für die eigenen Überlebensstrategien steuert. So erfüllt sich ihm, dem sexuellen und existentiellen Nicht-Wesen, sein Verlangen nach Überleben und Vervielfältigung.(2)

Das ist bei Bakterien, die zu den Lebewesen zählen, anders, weil sie mit biologischen Mitteln, Antibiotika, bekämpft werden können. Ein Antibiotikum ist ein Medikament, das lebendige Organismen angreift, indem es aus Stoffwechselprodukten von Mikroorganismen gewonnene Substanzen gegen bakterielle Krankheitserreger einsetzt. Das nämlich sagt der Name Antibiotikum aus. Darin steckt anti, αντί,, gegen, und βíος, bios, Leben.

Antibiotika können also nur gegen lebendige Organismen wirken. Dagegen weiß man über Viren noch nicht genug, um sie in ihrer Zwischenexistenz in den Gegensätzen Leben und Material einzuordnen. Ein Virus ist der kleinste Krankheitserreger, der einen lebenden Organismus befällt. Das Virus selbst ist kein Lebewesen: Es fehlt ihm das entscheidende Merkmal des Lebens, der Stoffwechsel. Auch die Art seiner Vermehrung ist tendenziell ungeklärt. Dabei ist die Tatsache seiner Fähigkeit der Reproduktion unstrittig. Ein Virus veranlasst seine Wirtszelle zur Reproduktion, einer Art Manipulation zu seinem eigenen Vorteil und zum Nachteil der parasitär besetzten Zelle, des „Wirts“. Dadurch kommt es zu einem Prozess vehementer Vermehrung der Viren innerhalb der Wirtzelle, bis diese an Überbeanspuchung stirbt und die neu produzierten Viren weitere gesunde Zellen besetzen können. Allerdings – und hier setzt eine kollektiv vermittelte Raffinesse dieses Organismus ein – geschieht das nur bis zu dem Punkt, der den Wirt, dessen vitale Funktion er schmarotzend nutzt, noch möglichst lange am Leben lässt, um sich nicht durch dessen Tod die Lebensgrundlage zu entziehen.

Man kennt seine Zerstörungskraft, seine Überlebens- und Anpassungsfähigkeit. Das macht ihn Lebendigem zwar ähnlich, jedoch umso schwieriger zu bekämpfen. Es wird davon ausgegangen, dass befallene Lebewesen Viren nur durch körpereigene Immunabwehr eliminieren können.

An diesen Gedanken knüpft die Idee von Impfung an. Eine aktive Impfung setzt den Körper einer unbedenklichen Infektion aus und versetzt ihn in die Lage, Abwehrstoffe gegen den Erreger aus eigener Kraft zu bilden und sich des nunmehr identifizierbaren Angreifers in einer Art Körpergedächtnis zu erinnern. Im Falle einer Neuinfektion soll der Körper dadurch befähigt werden, sich gegen einen neuerlichen Angriff zu behaupten, immun zu sein. Die passive Impfung dagegen versorgt den Körper mit bereits entwickeltem Immunmaterial und muss, um wirksam zu bleiben, erneuert werden.

Offenbar helfen nur diese fertigen Impfstoffe bei dieser Art Infektion. Aus diesem Grund arbeiten Sachverständige derzeit an einem entsprechenden Impfstoff.

Was hat es nun mit dem Begriff Virus auf sich? Lateinisch bedeutet virus Saft, Schleim, schließlich gar Gift. Es ist ursprünglich ein Neutrum: das Virus, Genitiv viri, Plural vira.. In der Umgangssprache setzt sich zunehmend statt des neutralen Fachterminus die maskuline Form der Virus durch. Virulenz, aus lateinisch virulentia bedeutet ursprünglich Giftigkeit, schließlich übertragen schädliche Aktivität, Ansteckung; entsprechend bedeutet das Adjektiv virulent „im negativen Sinne aktiv, ansteckend, giftig“. Die neuerdings gebräuchlichen Wörter viral, Viralität besagen „der rasanten Verbreitung eines Virus vergleichbar“.

Die neuartige Corona-Virus-Erkrankung Covid-19, ausgelöst duch das mutierte Virus SARS-CoV-2 ist eine Abkürzung von englisch severe acute respiratory syndrome coronavirus 2, (SARS-CoV-2)Corona virus disease, Corona-Virus-Erkrankung, des Jahres 2019, die andere von South-East-Respiratory-Syndrome-Corona-Virus-2.

Die Krankheit begann als Epidemie. Das ist eine Krankheit, die gleichzeitig und kurzfristig eine Vielzahl von Infizierten in einem abgeschlossenen Gebiet befallen hat. Das sagt die Vorsilbe epi-, ἐπί- mit einer räumlich und zeitlich begrenzenden Bedeutung – etwa bei und bis – aus.

Der Epidemie gegenüber steht die Endemie, wobei der Akzent auf der Begrenzung, innerhalb, liegt: ἐν, en, in. Auch die Betonung der Zeitlichkeit ist anders gelagert. Eine Endemie hat eher eine räumliche Betonung, sie betrifft also eine in einem bestimmten, prädestinierten Gebiet auftretende Krankheit, wie etwa Ebola oder Malaria.

Pandemie schließlich geht auf die griechische Vorsilbe παν-, pan-, ganz- zurück. So kommt die Bedeutung umfassende, globale, sich potenziell auf der ganzen Welt verbreitende Krankheit zustande. Die Voraussetzung einer Pandemie ist die Übertragung von Mensch zu Mensch, die erst nach der Übertragung durch den Zwischenwirt stattfindet, sodass sie schließlich per Flugzeug Kontinente überwinden kann. Sie bedarf also keiner exotischen Berührungen mehr, wie sie der Wildtiermarkt in Wuhan nahelegte. Das ist einerseits das besorgniserregende Merkmal der Ausbreitung des neuen Corona-Virus, das längst Grenzen übersprungen hat, andererseits aber auch hier, wie in seinem ursprünglichen Ausbreitungsgebiet, unauffällige Verläufe, unerkannte, symptomarme Fälle, zeitigt, die eine realistische Einschätzung seiner Ausbreitung erschweren.
(1) SARS bedeutet: Severe Acute Respiratory Syndrome /South East Respiratory Syndrome, ausgehend von Fledertieren
MERS bedeutet: Middle East Respiratory Syndrome, ausgehend von Dromedaren
Das neuartige Virus, das die Krankheit bewirkt, heißt SARS-CoV-2.Dabei bedeutet 2, dass ein andersgeartetes – ein neuartiges – Virus vorliegt, als bei bei SARS-CoviD(-1)
Die Krankheit – D = Disease – in ihrem gesamten Verlauf heißt SARS-CoviD-19. Dabei bedeutet 19, daß die Krankheit im Jahre 2019 erstmals auftrat.
(2) – Hier eine leichtverständliche grafisch unterlegte Darstellung über Wirkung und Funktion des Virus:
https://www.nytimes.com/interactive/2020/03/11/science/how-coronavirus-hijacks-your-cells.html
– Hier eine weitere, neuere, gut verständliche Darstellung über die Wege, die das Virus nimmt, um den menschlichen Körper tödlich zu schädigen:
https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-05/sars-cov-2-coronavirus-verlauf-lungenkrankheit-herz-blut-rachen