Mannhaftigkeit als Tugend

In den lateinischen Begriffen virgo, Jungfrau, und vir, Mann, Ehemann, könnte bei aller scheinbarer Gegensätzlichket auch vires, Kräfte, etymologisch beteiligt sein. Mann, Soldat, Held, steckt sinntragend invirtus, Tugend, weil ein Mann nur als Soldat zum Helden werden konnte und Heldentum der Gipfel männlicher Tugend war.

Im klassischen Rom verstand man unter virtus männliche Tugend. Dies war ein Bündel von Eigenschaften, die im öffentlichen Raum angesiedelt waren. Sie bildeten die Grundfesten von Ansehen, Ehre und Würde des römischen Bürgers. Als besonders ehrenvoll wurde Mannhaftigkeit, insbesondere als soldatische Tugend wie Mut und Kraft, gewürdigt. Dabei bedeutet virtus, virtutis, Tüchtigkeit und Mannhaftigkeit, nicht Männlichkeit in einem äußerlichen Sinne von männlich attraktivem Aussehen oder dominantem Auftreten, sondern ritterliche Eigenschaften wie Edelmut, Zurückhaltung, Besonnenheit und Bescheidenneit.

Auf die Würde und das Ansehen eines Angehörigen der römischen Oberschicht wiesen bereits Anzeichen in seiner offiziellen Kleidung, der Toga, hin. die er bei öffentlichen Auftritten trug. Die Toga kennzeichnete einen römischen Bürger; sein Rang als Patrizier war an farbigen Streifen an den Kanten seines Gewandes sichtbar.

Pate der römischen Tugend, ist die Gottheit Virtus, Göttin des soldatischen Mutes und der Tapferkeit. Die Bedeutung verschob sich vom Militärischen hin zu einem grundsätzlichen Wert der Verkörperung männlicher Tugend, der von einem staatstragenden Mann und Bürger Roms zu vertreten war.

Virtus als römische Tugend erfuhr ihrerseits einen Bedeutungswandel in der römischen res publica, dem Staat und der Republik: das Einstehen für den politischen Staat und ihr Pendant, die römische Gesellschaft.

virtus, virtutis ist eines der wenigen lateinischen Substantive, die nur scheinbar zur o- oder u-Deklinination zählen. Ähnlich verhält es sich mit iuventus, iuventutis, Jugend, und senectus, senectutis, Lebensalter, die zu der Reihe Abstrakta, eigenschaftsbildender Substantive, zählen, die sonst auf -as, -atis enden, was im Deutschen meist mit den Nachsilben -tät. -tum, -schaft,- heit oder -igkeit ausgedrückt wird: auctoritas,-atis, Autorität, Urheberschaft,pietas, pietatis, Frömmigkeit, familiäre Verantwortlichkeit, nobilitas, nobilitatis, Adel, Edelkeit, Würde. All diese Eigenschaftssubstantive sind nämlich Feminna.

Mannhaftigkeit als männliche Tugend moralischer Unanfechtbarkeit ist heute verloren gegangen. Tugend und Tugendhaftigkeit gelten als weibliche Eigenschaften, die ökonmisch unzeitgemäß geworden sind. Die Jungfrau, die Virgo intacta im medizinischen Sinne, war ein notwendiges Merkmal einer Heiratskanditatin, um die Identität ehelicher Nachkommenschaft sicherzustellen.

Auch in dem Substantiv virgo, virginis, Jungfrau, steckt das Urbild der Tugendhaftigkeit eines Mannes, des Wortstammes vir-. Das äußerliche Erscheinungsbild des Wortes virgo ist scheinbar grammatikalisch maskulin. Das ergibt sich daraus, dass damit ursprünglich die Vorstellung tugendhafter Männer verknüpft war – also solcher, die keinen Verlockungen von Machtmissbrauch oder Korruption erlagen. Mit virgo schließlich ist ein Mädchen bezeichnet, das noch im Besitz ihrer Virginität/Virginalität, Jungfräulichkeit, Unberührtheit, Keuschheit ist. Virginitas war im antiken Rom also gar nicht an sexualmoralische Kategorien wie Tugendhaftigkeit und Keuschheit, geknüpft.

Die moralische Wertschätzung galt zunächst männlichen Tugenden wie Unbestechlichkeit, Anstand, Würde, und Bescheidenheit im Auftreten. Später erst übertrug sich virgo auf die Unberührtheit und weibliche Keuschheit und firmierte unter dem femininen Genus. Mit Virgo war eine Personifizierng eines moralischen Gebotes, das urspünglich einem männlichen Wert galt, auf die Frau übertragen und hatte nunmehr keine ethische, sondern eine sexuelle Bedeutung.

Von vir , Mann, abgeleitet sind auch andere bildungsprachliche, lateinischstämmige Fremdwörter, die über das Französische ins Deutsche gelangt sind. So weist die adjektivische Endsilbe -iell/uell – nominell, partiell, speziell, manuell, virtuell auf eine französische Herkunft, während -ial,-al seinen Ursprung im Lateinischen selbst hat: Spezial-, kollegial, frugal, viral. Statt viral ist also auch viruell denkbar.

Dass viral/viruell, durch ein Virus ausgelöst und vermehrt, und virtuell, scheinbar, computersimuliert, nur theoretisch existent, die durch die vorangestellte Silbe vir- beginnen, scheint zunächst irreführend, wird jedoch bei genauerem Hinsehen durchschaubar:
Gemeinsames ursprüngliches Merkmal all dieser Wörter ist vis, pl. vires, Kraft, auf dem auch vir, Mann, als Täger männlicher Kraft, beruht.

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