Kuppelbild Gott Vater
Foto: Martin Geisler
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Der Mensch ist erfüllt von dem trügerischen Bewusstsein, in Gottes Kreatur hervorgehoben zu sein. Er lebt in der Arroganz eines gottesebenbildlichen Wesens.
Was, wenn nicht das Alte Testament in seiner farbigen Sprache, könnte das hervorbringen! Und – wie verführerisch ist der Gedanke: von Gott geformt nach seinem Ebenbild, von Gottes Atemhauch beseelt!
Wie schnöde erscheinen dagegen Evolutionsgedanken: Menschen, deren Urahnen als ungeschlachte, glubschäugige Quastenflosser ans feste Land krochen; rattenartige Säugetiere, die zwischen gewaltigen Riesenechsenbeinen wimmelten und von ihren Überbleibseln profitierten; Vorgänger, die in ihrer noch offenen Anpassungsfähigkeit Erdkatastrophen überlebten, Existenznischen fanden. Sollten sie sich zu zweibeinigen, vernunftbegabten, beseeltäugigen Beherrschern des Planeten Erde aufschwingen?
Eine andere Idee ist das Bewusstsein als entscheidende Ebene der Abgrenzung zur Tierwelt.
Das Bewusstsein ist ein Ausdruck des Wissens um die eigene Vergänglichkeit. Die eigene Zeitlichkeit ist die Zeit, die einem Lebewesen für sein Leben zugeteilt ist. Und wie wird Zeit dann empfunden, wenn sie Lebenszeit ist? Ist die Lebenszeitempfindung einer Eintagsfliege eine andere als die einer Riesenschildkröte, deren Zeiterleben sich in Jahrhunderten misst? Dieser Zeitbegriff ist menschengemacht. Er ist ein Hilfsmittel, um Vergangenes, Erfahrenes, Widerfahrenes, Vernommenes, Geplantes und Unvorhersehbares zu ordnen.
Das Bewusstsein macht sich auch ein Bild der Zeit an sich. Es hat einen Begriff und eine Vorstellung von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft.
Aber gibt es überhaupt eine Gegenwart? Ist nicht alles noch Gedachte und Vorgestellte Zukunft; befindet sich nicht alles Tun schon an der Schwelle zur Vergangenheit?
Gegenwart ist in diesem Denkschema nur eine subjektive Wahrnehmung, nur eine schmale – eher gedachte, denn darstellbare – Linie im Sein, die Vergangenheit und Zukunft voneinander scheidet. Vergangenheit ist eine weite Dehnung zwischen Erlebtem und Geschichte. Zukunft bleibt im Ungewissen. Denn wir können zwar vorausschauend denken und planen. Aber der Rest unseres Tuns und Seins, Orte, Begegnungen und viele andere Einflüsse liegen nicht in unserer Hand.
Resultiert daraus der Glaube an die Vorherbestimmtheit des Schicksals? Wo bleibt dann der Gedanke einer freien Entscheidung des Menschen, der ihn als einen Bewusstseinsbegabten kennzeichnet? Ist es wirklich Gott, der unsere Geschicke bestimmt und lenkt? Oder ist es nicht eher seinen Geschöpfen aufgegeben, nach seinen Geboten handelnd, das Gottgewollte zu schaffen?
Allen nicht-menschlichen Wesen auf unserer Erde wird das Selbstverständnis, die Selbstwahrnehmung als Wesen in einem Gefüge, das man Welt nennt, und der Begriff der eigenen Existenz in den Grenzen eines Systems von Zeit und Raum abgesprochen.
Was wissen wir denn über andere Formen der Wahrnehmung? Wir sind verhaftet in unserer eigenen Vorstellungswelt.
Gibt es Bereiche, die uns verschlossen sind? Gibt es politische, soziale, emotionale Kategorien, die für uns nicht fassbar sind, weil über die Grenzen unserer Systeme hinaus zu denken für uns unmöglich ist?
Sind es ausschließlich menschliche Gesellschaften, die soziales Empfinden haben? Soziales Leben? Leben in einer Gemeinschaft, braucht eine Organisation. Diese Organisierung geschieht in einer Beziehung zueinander, um die Rolle, die man als Glied der Gemeinschaft hat, zu definieren. Aus diesem Bezug erwachsen Gefühle füreinander: Mitgefühl, Pflege, Fürsorglichkeit. Aber Gemeinschaft erzeugt auch Differenzen: Verantwortlichkeit und Gleichgültigkeit, Sympathie und Abneigung, Freundschaft und Feindschaft, Liebe und Ablehnung.
Emotion kommt zum Ausdruck in Pathos und Psyche, Empfindung und Seele, dem Ort innerer Bewegtheit.
Paul Klee: Das Pathos der Fruchtbarkeit
The Berggruen Klee Collection, 1984
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Pathos, altgriechisch πάθος, bedeutet Leiden, Empfinden, übertragen eine feierliche Gestimmtheit, eine erhabene Bewegtheit. In der Rhetorik zielt es auf ein emotionales Echo des Hörers, auf seine Empfindungen, seine Identifikation, seine ungeteilte Aufmerksamkeit, seine seelische Teilnahme: seine Psyche.
Psyche, altgriechisch ψυχή‚ lateinisch anima, Hauch, Seele, besitzt auch den Nimbus des alttestamentarischen, den des einen unbelebten Lehmklumpen animierenden Gottesodems, der den Menschen zu einem besonderen Wesen vor allen anderen macht.
Haben Tiere Empfindungen, die Pathos und Psyche ausdrücken, haben sie wie Mitgefühl und Liebe?
Gerade von einem Tier, das in unsere Kommunikation eingebunden ist, von einem vertrauten Haustier, das als guter Freund des Menschen empfunden wird und an seiner Seite ist, präsent und spontan, erlebt der Mensch manchmal mehr Zuspruch und Trost als von einem Menschen.
Der rührende Augenaufschlag eines Hundes, sein Apportieren eines aufmunternden Gegenstandes. Oder das vertrauensvolle Schmiegen einer alten Katze an ihren Menschen. Selbst das konzentrierte Lauschen eines Zwergkaninchens auf die Stimme seines Menschen, Geräusche, Worte, die nur ihm gelten: Auch in der Tierwelt gibt es Emotionen, Mitgefühl, Vertrauen, Fürsorglichkeit, Dank. Man denke nur an die Selbstlosigkeit, mit der ein Elefantenjunges in seiner Herde versorgt wird. Delphine, die einen Menschen vor dem Ertrinken retten. Das alles sind Seelenäußerungen, Zeugnisse tierischer Anteilnahme, innerer Bewegtheit, kreatürlichen Engagements für andere.
Aber wie sonst, wenn nicht mit seiner von Gott gegebenen Überlegenheit, sollte der Mensch seinen Umgang mit der ihm anvertrauten Natur begründen? Und wie soll er vertreten, dass dabei so vieles misslingt und unwiederbringlich zerstört oder getötet wird?
Der Anspruch der Menschheit ist die alttestamentarische Untertanmachung der Erde, die Beherrschung der Natur. Ihr Auftrag ist aber auch Fürsorge, Verantwortung und Schutz der ihr anvertrauten Kreatur. Sind diese Aufträge überhaupt erfüllbar angesichts der Eruptionen, die den Menschen zu einem Spielball ungeahnter Kräfte machen können?
Demut ist das Gebot, wenn es einen Gott gibt, der ihm seine Schöpfung anvertraut.
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