Fledermäuse – flatternde Nachtgespenster

Zwerg-Fledermaus (Pipistrellus pipistrellus)

Zwerg-Fledermaus (Pipistrellus pipistrellus)
Urheber: Manuel Werner, Nürtingen (Arbeitsgemeinschaft Fledermausschutz Baden-Württemberg)
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In einem mittelalterlichen Gemäuer eines südfranzösischen Dorfes hielt ich einmal ein verirrtes Flattertierchen in meinen Händen. Federleicht und so zart, dass ich das Klopfen seines Herzens in den Fingern spürte. Bewegliche Ohren an einem stumpfnasigen Köpfchen, durchscheinende Gliedmaßen, eingefaltete Flughäute, vom Stummelschwanz bis zu den „Armen“ reichend: Ein winziges Fellbündel, nicht zum Laufen, sondern zum Fliegen bestimmt. Kein Vampirgebiss schlug sich in meinen Hals, kein unheilvolles Schwirren und Flattern entspann sich, als es erleichtert durchs Dachfenster und in die Freiheit der hereinbrechenden Nacht entfloh.

Seit einiger Zeit rücken Fledertiere ins Licht des öffentlichen Interesses. Aber sie stehen in keinem guten Licht. Sie sind nicht einmal Nagetiere wie Ratten, die Überträger der Pest. Sie sind nächtens jagende Insektenfresser, erkennbar an ihrem spitzzahnigen Insektenfressergebiss, wie man es von unterirdisch wirkenden Maulwürfen und ruhelosen Spitzmäusen kennt. Fledermäuse sind lichtscheue, nachtaktive Gesellen. Sie stehen im Verdacht, todbringende Seuchen wie Ebola, Sars, Mers und zuletzt Corona über die Menschheit zu bringen. Aber so einfach und schematisch verhält sich sie Krankheitsübertragung nicht.

Townsend-Langohr (Corynorhinus townsendii)

Townsend-Langohr (Corynorhinus townsendii) – Urheber: PD-USGov, exact author unknown gemeinfrei

Fledermäuse, „Mäuse“ der Lüfte, dieses unsichtbare, lautlos flatternde Getier, sind Säugetiere, ausgestattet mit Flüghäuten und einem ungewöhnlichen, hoch spezialisierten Wahrnehmungssystem. Statt überempfindlicher konventioneller optischer und akustischer Fähigkeiten, wie sie Jägern und Gejagten der Dunkelheit eigen sind, verfügen sie über ein besonderes Ortungsorgan, das dem Echolotsystem eines Kriegsschiffes gleicht. Es gibt Auskunft über die Entfernung und Größe eines Objekts, indem dessen Resonanzstärke ermittelt wird. Diesen Daten werden lebenswichtige Informationen zur Lokalisation und Übereinstimmung des Beuteschemas sowie zur Verhinderung von Kollisionen mit Hindernissen entnommen.
Das Echolotsystem erlaubt Fledermauspopulationen, sich in unzugänglichen Höhlengängen einzurichten und den Tag in stickigem Koloniendunkel zu verdämmern. Eng aneinander geschmiegt hängen sie kopfüber an eigens dazu bestimmten Krallen und erwarten die nächtliche Jagdzeit.

Was sollte sie nun bedrohlich machen?

Fledermäuse sind Virenträger, deren enges Zusammenleben sie mit einer vielfältigen gruppenspezifischen Immunabwehr, einer Herdenimmunität vesieht. Ihr Immunsystem duldet wahrscheinlich ein höheres Virenpotential als das menschliche. Entscheidend könnte dabei die Rolle sein, die Interferone,
von lateinisch interferre, eingreifen, spielen. Es sind Proteine, die eine immunstimulierende, antivirale Wirkung entfalten, indem sie die Zellen gegen die Erreger abschotten.

Zum Zeitpunkt der Erstinfektion in China wurden keine Fledertiere auf dem Wildtiermarkt in der 11-Millionen-Metropole Wuhan angeboten, weil sie sich noch im Winterschlaf befanden. Hinzu kommt, dass die Viren, die Fledermäuse besiedeln, Menschen erst etwas anhaben können, wenn sie über einen Zwischenwirt modifiziert in den menschlichen Körper gelangen. Möglicherweise ist die Ansteckung auf dem dichtbevölkerten Wildtiermarkt von einem infizierten Menschen ausgegangen. Es ist aber auch möglich, dass es sich bei dem Erstkontakt um ein exotisches Wildtier, vielleicht ein Schuppentier, handelte und dass bei einer früheren Berührung mit dem Menschen entweder noch gar kein Virenbefall stattgefunden hatte oder schon eine Antikörperbildung ausgelöst worden war. Man kann die Seuche also erst völlig durchschauen und einen Ansatz zur Durchbrechung der Kettenreaktion aufspüren, wenn man das seinerseits immune Tier identifizieren kann, das als Zwischenwirt das Virus auf den Menschen als letztes Infektionsglied übertragen hat. Aber solange Menschen noch keine eigenen Antikörper bilden können, muss man auf einen künstlich entwickelten Impfstoff bauen, der uns diese Immunfunktion in kurzer Frist abnimmt.

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