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Das Neutrum ist nicht durch Sächlichkeit gekennzeichet, sondern durch Unbestimmtheit

Im Deutschen gibt es drei grammatische Geschlechter, männlich/maskulin, weiblich/feminin, sächlich/neutral. Geschlecht bedeutet dabei etwas wie Familie, Ab- oder Herkunft, hat also zunächst nichts mit dem zu tun, was man sexuelles Geschlecht nennt. Die einzig damit übereinstimmende Botschaft ist, dass das sexuelle Geschlecht sowie auch der Begriff des Maskulinums, Femininums und Neutrums nicht unserer Wahrnehmung des natürlichen, ausgereiften Geschlechts entspricht. „sexus“, (engl. sex), ist keine grammatische, sondern eine biologische Kategogie. Sie bezeichnet den Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Lebewesen.

Grammatisch bedeutsam ist der Sexus, das biologische Geschlecht, wie bei „der Mann, die Frau“, nicht einmal grundsätzlich. Man begegnet in unserer Sprache deutlich abwertenden Begriffen, die das biologische Geschlecht bewusst missachten, wie beim nicht scherzhaften Gebrauch von „das Weib“, „die Memme“, „das Gespons“, oder bewusst nicht einbeziehen, wie bei „das Baby“, „das Kind“. Abgesehen von Dimunitiven, „-chen, -lein“, die immer ein neutrales Genus haben, sind im Deutschen Sachen, denen ein sächliches, Geschlecht grammatisch zugeordnet wird, aus dem Charakter der Gegenstände nicht begründbar: „das Messer, die Gabel, der Löffel“, „das Fahrrad, der Wagen, die Kutsche“, „der Tisch, die Lampe, das Bett“. Man weiß erfahrungsgemäß nur, dass das sächliche Geschlecht seltener ist, als man aufgrund des neutralen Charakters der Gegenstände annimmmt. Man findet keine inhaltliche Begründung, also weder für das neutrale Geschlecht des Kleides, noch für das feminine der Hose, noch für das maskuline des Hutes. Ergibt sich also das Genus eines Wortes nicht aus seinem Bild – dem zylindrisch geformten „Zylinder“, dem melonenförmig gewölbten Hut, der „Melone“ -, aus seiner Funktion – der Hosenträger, das Streichholz, die Zündkerze – noch aus seiner Entlehnung aus einer anderen Sprache, wie „Zylinder“, (lat. cylindrus, gr. kylindros) – , so scheint es beliebig oder etymologisch nicht mehr unmittelbar herleitbar.

Zieht man vergleichend andere Sprachen, die unserem Kulturkreis nahe stehen, hinzu, so sieht man, dass im Englischen der Artikel immer gleich „the“ lautet, was „der“, „die“ oder „das“ bedeutet, geht man davon aus, dass „th“ unserem „d“ lautlich entspricht, was sich an aus dem Altsächsischen stammenden Wörtern erweist. „the“ ergibt dann also „de“, „der, die, das“.

Im Französischen, das kein Neutrum kennt, sind die Genera der meisten Wörter aus verwandten Begriffen aus dem Lateinischen übernommen. Zwar stammt es zu großen Teilen aus dem Latein der römischen Besatzung der Provence – der römischen Provinz um Narbonne, Provincia Narbonensis (1). Dennoch wurde das lateinische Neutrum ersetzt, z.B. bracchium – der Arm, os – der Knochen, corpus – der Körper, mare – das Meer. So wurden diese Neutra zu le bras, l’os, le corps, la mer.

(1) Ein gut erhaltenes Zeugnis römischer Besatzung der Provence findet man in vaison-la-romaine:
https://www.provence-info.net/vaucluse/vaison-la-romaine.html

Das Neutrum im Lateinischen

Zwischen Altgriechisch und Lateinisch besteht eine enge Beziehung –
Ich halte letzteres nur für eine verkürzte Übernahme, vielleicht gar eine Art Dialekt des Altgriechischen, wobei sie lateinischen Schriftzeichen über Herkunft und Aussage hinwegtäuschen.
Es ist ersichtlich, dass vieles vereinfacht wurde, manches – besonders
Alltägliches, Hausgötter und jahreszeitliche Traditionen, Riten und Feste, die archaische Charakterzüge haben – von den Ureinwohnern, den italischen Stämmen, übernommen wurde.

Das Neutrum, das im Lateinischen gar nichts zu tun hat mit „sächliches Geschlecht“, bedeutet
übersetzt „keins von beiden – ne utrum“. Das klingt in der Tat etwas unbedeutend, jedenfalls
so, als wüsste man nicht so recht, was man damit anstellen soll. Es sind aber keineswegs unbedeutende Bezeichnungen, allerdings dem natürlichen Geschlecht auch nicht eindeutig zuzuordnen.

Die Neutra sind auch deutlich in der Minderzahl, wobei das natürliche Geschlecht, das Maskulinum und Femininum bereichert, diese Minderzahl begünstigt. Nur bei den Pronomina scheinen sie gleichgestellt zu sein.

Die folgenden scheinen mir die gängigsten zu sein:
oppidum, die Stadt; templum, der Tempel; donum, das Geschenk; os, der Knochen; mare, das Meer; cornus, das Horn; caput, der Kopf; tempus, die Zeit; genus, das Geschlecht; ius, das Recht; rus, das Land; flumen, der Fluss; numen, der göttliche Wille; nomen, der Name.

Jedenfalls könnte man jeder diese Bezeichnungen etwas Geschlechtsunabhängiges, Übergeordnetes zuordnen, was allerdings umgekehrt auf allerlei andere Bezeichnungen ebenso zutrifft – z. B. Blume, Blatt, Baum, Haus. Warum ist Erde aber weiblich? Weil sie wie eine Mutter immer wieder etwas Neues hervorbringt? Dieses Bild scheint in die meisten Sprachen hineinzureichen.

Neutra enden im Nominativ und Akkusativ immer gleich und im Nominativ Plural immer auf -a. Ein sicheres Erknennungsmerkmal!