Kopulierende Ringeltauben – Bild: 4028mdk09 – Lizenz: Creative Commons
Stadttauben erscheinen uns trotz ihres schillernden Federkleides nicht gerade als die ansehnlichsten Vögel. Früher hatten diese Rolle die Spatzen, die man oft „Dreckspatzen“ nannte, weil die harmlosen Finken ihre Nahrung in der Nähe menschlichen Konsums fanden.
Spatzen sind selten geworden. Sie erscheinen wie ein Relikt der 50er und 60er Jahre. Manchmal noch tschilpen sie unermüdlich in dichtem Buschwerk – in der Nähe eines kuchenkrümelreichen Cafés, wo sie sich sogar noch sprichwörtlich frech bis an den Tellerrand vorwagen.
Tauben waren damals noch in Taubenschlägen zu Hause. Taubenzüchter überboten einander bei der Zucht besonders dekorativer oder ausnehnmend intelligenter Exemplare, die bei Brieftaubenwettbewerben verschickt wurden und ihren Heimweg instinktiv finden mußten. Das Interesse an diesem Sport ist verloren gegnagen. Taubenschläge gehören der Verangenheit an. Die Tauben, die uns jetzt begegnen, sind verwilderte Felsentauben, Stadttauben. Die anderen, schwereren und an ihrem weißen Halsring erkennbaren sind Ringeltauben, ehemals Waldtauben.
Beide Arten sind zu Kulturfolgern geworden, also Tieren, die sich menschlichen Lebensgewohnheiten angepasst und in dieser Lebensgemeinschaft optimale Überlebensstrategien entwickelt haben. Wohnblocks sind für sie Felsen, Balkone und Mauernischen sind Brutplätze für ohnedies kurze Lebensphasen.
Während Waldtauben ihr Revier auf ungestörte Hintergärten mit Baumbeständen aus unempfindlichen, der Stadtluft trotzenden Alleebäumen verlegt haben, haben die ehedem in Felsspalten brütenden Felsentauben als Stadttauben eine neue Existenzgrundlage gefunden.
So findet man Stadttauben in belebten Gegenden, die für ihre Nahrungssuche vielversprechend sind. Sie sind gelehrige Vögel, die optisch und akustisch fein wahrnehmen. Erst im letzten Moment lassen sie gelassen von ihren Fundstücken ab, bevor sie von einem Auto erfasst würden. Sieht man sie in perfekter Formation aufbrechen, fliegen, wenden oder landen, drängt sich die Frage auf, wie eine Verständigung über diese Gegebenheiten wohl zustande komme. Sie haben offenbar Verständigungsformen, eine Art Schwarmintelligenz, in ihren Gruppen entwickelt, die in Zeiten zurückreichen, die sich unserer Beobachtung entziehen. Wer gibt das Ziel vor, wie wird eine Wendung des Schwarms veranlasst, wie lässt sich ein idealer Gruppenlandeplatz bestimmen, wie werden Jungvögel in dieses komplizierte Geflecht einbezogen?
Vielen Balkonbesitzern ist es lästig, ihre Balkons mit gurrenden, werbenden Tauben zu teilen: Exkrementen, Geräuschen, gar Nestern versucht man durch Netze, flatternde Aluminiumgirlanden, glitzernde Glühbirnen oder vogelscheuchenähnlichen Raben auf Geländern zu begegnen. Eine neue Methode sind dornenbesetzte KLebestreifen, die ihnen eine Landung verwehren. Die Tauben aber sind gelehrig und finden Wege, das menschliche Terrain trotzdem zu erobern.
Dazu braucht es nicht viel, denn sie sind genügsam. Ihr Nest besteht nur aus wenigen, kaum als solches erkennbaren Zweigen. Diese unwirtliche Umgebung genügt für eine kurze Kinderstube, der schon bald eine neue folgen wird. Im Gegensatz zu den meisten brütenden oder Brutpflege treibenden Tieren, sind Taubenküken wenig ansprechend und Beschützerinstinkte erweckend – hervorquellende Augen und nackt bis auf einige Federstummel lassen sie wie ein gerupftes Huhn aussehen. Trotzdem werden sie so gut versorgt, dass sie sich binnen kurzem gefiedert und flügge den Clans der Erwachsenen anschließen – in einer Welt, die nicht mal ihre eigene, sondern eine aus Elementen fremder – menschlicher – Existenz neuerschlossene ist.
Welches Überlebensgen macht sie so erfolgreich?
Wichtig ist wohl in erster Linie ihre Anpassungsfähigkeit, die eine große Zahl von Aufenthaltsorten und Nistplätzen bereithält, ihre fast beliebigen Futterquellen, die sie zu städtischen Allesfressern werden ließ, und ihre bescheidenen Ansprüche an die Ausstattung ihrer Gelege.
Hinzu kommt eine Besonderheit, die sie von anderen Vögeln abhebt und fast in die Nähe von vergleichsweise hochentwickelten Säugetieren rückt, deren Muttermilch die Jungen eine Zeitlang gegen Krankheiten schützt, indem sie eine optimale – verträgliche, abwehrstärkende, umweltgiftarme – Versorgung gewährleistet.
Tauben verfügen in einer Halsfalte über eine Drüse, die dieses Lebenselixier bereithält. Mit dem Schnabel von der Mutter daraus entnommen, wird es den Küken in den aufgesperrten Rachen injiziert. Vielleicht ist dieser Entwicklungsvorsprung das Geheimnis ihrer Überlebensfähigkeit bei ihrem kurzen Weg ins Erwachsensein.
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