Tägliche Archive: 25. Juni 2008

Hegestraße Hamburg mit ungebrochenem Charme


Nur selten werden Einkaufsstraßen außerhalb der City von Nebenstraßen gekreuzt, die ihrerseits eine Vielzahl von Geschäften beherbergen. In Hamburg findet man sie in Winterhude, da treffen die Gertigstraße und der Poelchaukamp auf den Mühlenkamp. Im Schanzenviertel ist die Susannenstraße die Verbindungsstraße zwischen Schulterblatt und Schanzenstraße. Im Uni-Viertel Rotherbaum mündet der Grindelhof auf die Grindelallee. Ein weiteres Beispiel ist die Hegestraße. Sie führt auf den Eppendorfer Baum.

Der Name Hegestraße, auch der ihres kleinen Ablegers Hegestieg, deuten darauf hin, dass sich an diesem Ort einmal ein Forst befunden hat, den es zu hegen galt. Allerdings wird dieser Forst eher von der morastigen Sorte gewesen sein, denn alle Anzeichen sprechen dafür, dass Eppendorf auf moorigem Grund liegt. Es gibt Kanäle, Isebek und Tarpenbek, die das Wasser aufnehmen. Sie münden in die Alster. Sogar ein veritables, etwas schauriges Moor, das Eppendorfer Moor, befindet sich mitten in der Stadt.

Die Hegestraße kreuzt den Eppendorfer Baum. Er scheidet unmerklich die Stadtteile Eppendorf und Hoheluft voneinander. Also gehört der südliche Teil der Hegestraße, der auf den Lehmweg trifft, bereits zu Hoheluft, während der andere, der nördliche, der zur Kellinghusenstraße führt, zu Eppendorf zählt.

In den siebziger und achtziger Jahren reihten sich in der Hegestraße allerlei verträumte Krämer- und Trödelläden aneinander. Die haben sich leider davongemacht. Nun ist sie Ziel verschiedenster Konsumentengruppen: der Bildungshungrigen, der Hungrigen und der Modehungrigen.

Hier steht das Gymnasium Eppendorf. Es ist keine Gelehrtenschule wie das Johanneum, keine Gesamtschule wie die Ida-Ehre-Schule, die unweit – im Lehmweg – ein wohlausgestattetes Oberstufenhaus führt. Früher war das Hegegymnasium eine Oberrealschule für Jungen, aber im Zeichen von Koedukation und Kooperation ist daraus ein klassisches Gymnasium modernen Anstrichs geworden. Es wirkt bodenständig und bürgerlich, geordnet und gediegen. Die alte Garde gymnasialer Nonkonformisten dürfte hier in der Minderheit sein. Betritt man das Schulgebäude durch das schwere Eingangsportal, ist man in seinem Inneren von der Feuerzangenbowlen-Pracht ausladend geschwungener Treppenaufgänge beeindruckt.

Ein Anlaufpunkt ganz anderer Art ist das in unmittelbarer Nachbarschaft gelegene “Petit Café”. Es ist eigentlich gar nicht so klein, aber der Name hat sich von seinem winzigen Vorgänger in der Eppendorfer Landstraße erhalten. Dieses Café weist zwei Besonderheiten auf, die es von der Vielzahl der Cafés der Umgebung unterscheiden. Es ist das zunächst wohl aus der Not geborene anheimelnde Sammelsurium, das an die unkonventionelle Vorläufigkeit der siebziger Jahre erinnert, und der nicht minder anrührende Duft nach frischgebackenem Kuchen, der das Café von der am hinteren Ende gelegenen Backstube durchweht. Diese simplen, frischen Hefeblechkuchen mit Obst und Streuseln – Schlagsahne nicht zu vergessen – haben ein altertümliches, fast wehmütiges Arom angesichts des üblichen Großbäckerei-Fertigkuchens. Ein türkischer Bäcker sorgt den lieben langen Tag für den Nachschub des begehrten Backwerks.

Cafés haben zusammen mit allerlei Kaffee-Creationen ein wahres Come-back erfahren. Die Kaffee-Manie gipfelte schließlich jenseits von entspannter Kaffeehaus-Atmosphäre in einem hektisch im Gehen eingenommenen Coffee-to-go. Manch moderner Kinderwagen ist bereits mit einer Halterung für den wohlverschlossenen, mundstückversehenen Pappbecher ausgestattet, damit man in der Zwischenzeit zum Handy greifen kann. Eine gewisse Unsicherheit schwingt mit, ob die Halterung nicht – als eine Babyflaschenhalterung gedacht – umfunktioniert wurde.

Cafés geben Frauen in den besten Jahren, den berufslosen mit Kinderwagen, den berufstätigen im Business-Outfit, eine Chance, standesgemäß einzukehren. Anderen bietet sich die Gelegenheit zu Blind-Date, Kaffeepause, Plausch, Small-Talk. Der entscheidende Fortschritt daran ist, dass sich Frauen nach den langen Kneipenjahren, wo sie sich beim Erscheinen ohne Begleitung seelisch aufrüsten mussten, hier ganz ungezwungen bewegen können. So wie in den fünfziger und sechziger Jahren, als das Café und die Konditorei eine Domäne der Damenkränzchen war.

Demgegenüber ist es dennoch ein Verlust, dass die Szenekneipen, das Gegenmodell zu den Eckkneipen, ausgestorben sind. Mitten in der Hegestraße befand sich das hochfrequentierte “Schröder”. Da standen noch nachts um zwei die Leute scherzend vom Eingang bis auf die Straße. Eine Kneipe mit angemessen dunklen Wänden, engen Winkeln, spärlich mit Kerzen beleuchtet. Es war verraucht, groovig, mit allerlei schrägen Vögeln, die einem immer wieder begegneten. Man trank Bier oder Edelzwicker und aß Crocque oder Salade Nicoise. Heute nimmt man ein Business-Lunch und trinkt Stilles Wasser in übersichtlich ausgeleuchteten Räumen.

Von den Antiquitätenläden, deren bunte Gemischtwaren früher den Gehweg säumten, finden sich heute noch einige edle Nachkommen mit feinen Möbeln, Dekorationsstücken und ausgesuchten Stoffen. “Das 7. Zimmer” zeugt vom besonderen Charakter alter Sachen. Gabriela ist unverkennbar Stylistin. Davon zeugt die Präsentation ihrer käuflichen Exponate, die sie in einer Mischung aus wohlkonservierter Morbidität und versehen mit Accessoires linnener Steifigkeit und duftiger Jahreszeitlichkeit in Szene setzt.

Typisch für die Hegestraße heute sind die Boutiquen für Kindersachen, Kleider, Schuhe, Handtaschen und Schmuck, die nicht, wie in den großen Straßen, Ableger der bombastischen Flaggschiffe aus der Innenstadt sind, sondern kleine, feine Läden mit individuellem, edlem, wenngleich nicht ganz billigem Sortiment.

Einen ganz unverkennbaren Stil vertritt seit jeher die “Silbermine”. [1] Hier wird Schmuck gemacht, der edel aussieht, ohne protzig zu wirken. Birgitta und Michael Rheinländer sind handwerklich versiert und zurückhaltend in ihrer Beratung, während man sich umschaut zwischen Vitrinen und Siamkatzen, deren Augen die Farbe der “Silbermine” widerspiegeln, das Blau des Ladens, – ja, sogar das des blaufenstrigen Hauses, das sie beherbergt.

Daneben findet sich auch ein gutsortierter, mit modischem Gespür geführter Second-hand-Laden, dessen einfühlsame Beratung die Kundin mit dem Gefühl versieht, ein besonderes Einzelstück zu erwerben.

Und das ist beileibe nicht alles.

Für die Ausgehungerten gibt es einen abwechslungsreichen Mittagstisch, saisongerecht und frisch gekocht gleich gegenüber bei “Umland”. Mittags hört man schon von weitem das friedliche Geplauder und Besteckgeklapper von den Stehtischen unter der Blauen Markise. [2]

Für die weniger Eiligen gibt es einen Supermarkt, darinnen eine Bäckerei mit zünftigem Stehcafé. Für die geistig Hungrigen die Buchhandlung “Heymann”. Und für die durstigen Autos eine der wenigen innerstädtischen Tankstellen mit Service und Minimarket.

Eine bauliche Attraktion hat die Hegestraße auch zu bieten: Es ist ein Neubau, der sich in seinem Äußeren ganz den Fassaden der Gründerzeithäuser angepasst hat. Dies ist sehr wohltuend nach all den Pseudo-Schiffsarchitekturern der späten neunziger Jahre.

Beide Enden der Hegestraße bilden Kinderspielplätze, denn gerade die breiten Trottoirs des heiteren, geschäftigen Teils sind das ideale Pflaster für Mütter, die kleine Kinder schieben.

Webhinweise:

[1] Silbermine Hamburg – Schmuck aus der Silbermine

[2] Umland – delikat essen und Party-Service
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https://web.archive.org/web/20140114041408/
http://www.blog.institut1.de/2008/hegestrase-hamburg-mit-ungebrochenem-charme/