Ein komischer Kauz im Hinterhof

Tengmalm Eule (Aegolius Funereus)

Tengmalm Eule (Aegolius Funereus)
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Hier sind die Hinterhöfe fast unzugängliche Gevierte, die sommers mit Gärten üppig begrünt sind und winters in vergessenen Laubhaufen unter Holunder- und Rhododendronbüschen allerlei verschwiegene Rückzugsorte bieten. Das Astwerk schnellwüchsiger Bäume – Ahorn, Birke und Robinie – ist für Vögel Raum für Kommunikation und Ruhe. Efeubewachsene Mauern und Zäune und mit Storchschnabel, Weidenröschen und Fingerhut geschmücktes, brombeerberanktes Ödland sind für Kleintiere und Vögel Schutz vor Störenfrieden und Raum für Werbung und Kinderstube.

Bei Tagesanbruch erfüllen die zwitschernden Stimmen der kleinen Singvögel die Luft – während der Zeit von Revieranspruch und Paarung: Amsel, Rotkehlchen, Kohl- und Blaumeise. Schon bald übertönen sie die gurrenden Laute der Ringeltaube. Dann übernehmen die heiser lärmenden von Elster, Eichelhäher und Krähe das Regiment bis hinüber zur Straße.

Wenn es Nacht wird, schweigen die Vögel. Dann dürfen samtpfotige Stubentiger durch die Büsche streifen, Igel verlassen ihren Unterschlupf und gehen rückhaltlos schnüffelnd auf Futtersuche: von Menschen dargereichte Apfelstücke, aber auch Selbsterbeutetes wie Käfer, Raupen, Regenwürmer – selten einmal eine unvorsichtige Maus.

Es ist nämlich auch die Zeit der Mäuse, die sich unterwegs – für unsere Ohren unhörbar – wispernd verständigen und ihre Wege für ihre Artgenossen mit winzigen Duftmarken versehen.

Diese kaum merklichen Zeichen ihres Treibens bleiben nicht unbemerkt bei jenen, die sie schon erwarten – den nachtaktiven Jägern.

Zu ihnen hat sich neuerdings ein weiterer Kumpan gesellt. Kein Meister Reinicke, kein Isegrimm, kein wühlendes Wildschwein – wie bereits nächtens am Jungfernstieg bezeugt. Schon gar nicht ein mülltonnenprüfender Problembär oder ein kraxelnder Waschbär, die bekanntlich der menschlichen Zivilisation besonders aufgeschlossen begegnen.

Es ist eine Eule, Aegolius funereus, „Begräbniseule“. Denn ihr Ruf, der mal schrill, mal hohl durch die nächtlich flüsternden Gärten hallt, klingt wie „kiwitt – kiwitt … gu-gu, gu-gu“, im letzten Abendschein von unseren Altvorderen schaudernd als Ruf des Sensenmannes gedeutet als bedrohliches „Komm mit, komm mit! Zur Ruh‘, zur Ruh‘!“.

Das ist die Stimme des Waldkauzes.(1)

Waldkauz als Ästling

Waldkauz als Ästling
Bild: bartbblom
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Der Waldkauz (Strix aluco) ist die häufigste heimische Eule (Strigida). Ein Oberbegriff für Käuze und Eulen lautet γλαῦϰ, gaux, wodurch lautmalerisch auf ihren Ruf Bezug genommen wird. Der Waldkauz wirkt taubengroß durch sein aufgeplustertes Gefieder, in Wirklichkeit ist er aber verglichen mit ihr sehr leicht. Käuze unterscheiden sich nur durch das kompaktere Erscheinungsbild von den übrigen Eulen. Sie sind scheue Zeitgenossen. Nächtliche Jäger, Nachtgreife in der Ornithologenfachsprache. Eulen halten sich am Tag verborgen; nur selten gewahrt man sie, reglos auf einem Ast verharrend, mal die Augen von einer Nickhaut verschlossen, mal scheinbar blinzelnd, dabei stoisch geradeaus blickend. Nur Eulen haben ein für menschliche Wahrnehmung erkennbares „Gesicht“. Beide Augen sind nach vorn gerichtet. Das ermöglicht ein räumliches Sehen. Ihre Augen gleichen in ihrem Gelbton denen einer Katze. Und tatsächlich, auch die Funktion ihrer Augen – das Auffangen und Vervielfachen der Lichtstrahlen in einer durch eingelagerte kristallartige Sensoren hochempfindlichen Iris, das Öffnen und Schließen der Pupille als Einlass kleinster Impulse – sind Katzenaugen vergleichbar. Nichts entgeht ihren Blicken, weil sie, mit zusätzlichen Halswirbeln ausgestattet, ihren Kopf um 240° drehen können. Sie haben sehr funktionstüchtige Ohren, denen der Federkranz, der die Augen umgibt, als Schalltrichter dient. So können sie sich auch bei völliger Dunkelheit über das Gehör orientieren. Hinzu kommen Besonderheiten, die den Flug eines Nachtvogels unhörbar, seine Gestalt kaum wahrnehmbar machen: ein samtartiges Gefieder, gezackte Flügelfedern, die das Fluggeräusch verschlucken, dazu ein unbeweglicher Ansitz und farblich der Umgebung angepasstes Gefieder.

Die Schreie der Eulen dienen der Kommunikation untereinander. Die Zeit ihrer Stimmaktivität liegt zwischen Mai und September. Der Ruf signalisiert den Revieranspruch des Männchens und ist gleichzeitig Lockruf mit dem Angebot eines Nistplatzes für ein Weibchen. Auf das Signal „schu-hu“ antwortet das Weibchen mit einem scharfen „kjewik“. Auch Warnrufe des Männchens an das brütende Weibchen oder die Jungen und deren Bettelrufe gehören zum Lautrepertoire.

Bemerkenswert ist der weithin hörbare Ruf des Männchens. Dabei bedient es sich eines unter seiner Kehle befindlichen aufblähbaren Schallkörpers, der eine Resonanz der Schwingungen seiner Stimmbänder erzeugt.(2) Dabei bleibt der Schnabel geschlossen, und die Halsfedern geraten in heftige Bewegung – vergleichbar dem vibrierenden Gefieder gurrender Tauben.

Das Nahrungsangebot auf kleiner werdenden Naturflächen wird geringer. Das mag der Grund sein, dass selbst Eulen den menschlichen Kontakt immer weniger scheuen. Inzwischen findet man den Waldkauz in Parks und Gärten mit altem Baumbestand. Die tagsüber im Verborgenen abwartenden Tiere finden hier das Lebensnotwendige: Mäuse, Käfer, Nachtfalter, Regenwürmer, Schnecken. Dazu im Schutze menschlicher Habitate sichere Brutplätze. Die nächtliche Aktivität bewahrt sie vor den berüchtigten tagaktiven Nesträubern, den Elstern und Krähen.

Die Aufzucht ihrer Brut wird mit jeder sich an die Umgebungsgeräusche und -aktivitäten gewöhnenden Generation selbstverständlicher. Tiere, die diesen Anpassungsprozess bewältigen, weil sie daraus Vorteile für das Überleben ihrer Art ziehen – Obdach, Schutz vor Fressfeinden und Nahrungskonkurrenz -, heißen Kulturfolger.

(1)
2)
(2)
Die Vögel erzeugen die Laute in einem eigenen Organ (Syrinx), einer Art von unterem Kehlkopf am unteren Ende der Luftröhre, an dem die beiden Hauptbronchien zusammenkommen.
http://www.kaiseradler.de/html/greifvogel_eulen_6b.html

Seelenbegabtheit – Verpflichtung und Auftrag

Kuppelbild Gott Vater

Kuppelbild Gott Vater
Foto: Martin Geisler
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Der Mensch ist erfüllt von dem trügerischen Bewusstsein, in Gottes Kreatur hervorgehoben zu sein. Er lebt in der Arroganz eines gottesebenbildlichen Wesens.

Was, wenn nicht das Alte Testament in seiner farbigen Sprache, könnte das hervorbringen! Und – wie verführerisch ist der Gedanke: von Gott geformt nach seinem Ebenbild, von Gottes Atemhauch beseelt!

Wie schnöde erscheinen dagegen Evolutionsgedanken: Menschen, deren Urahnen als ungeschlachte, glubschäugige Quastenflosser ans feste Land krochen; rattenartige Säugetiere, die zwischen gewaltigen Riesenechsenbeinen wimmelten und von ihren Überbleibseln profitierten; Vorgänger, die in ihrer noch offenen Anpassungsfähigkeit Erdkatastrophen überlebten, Existenznischen fanden. Sollten sie sich zu zweibeinigen, vernunftbegabten, beseeltäugigen Beherrschern des Planeten Erde aufschwingen?

Eine andere Idee ist das Bewusstsein als entscheidende Ebene der Abgrenzung zur Tierwelt.

Das Bewusstsein ist ein Ausdruck des Wissens um die eigene Vergänglichkeit. Die eigene Zeitlichkeit ist die Zeit, die einem Lebewesen für sein Leben zugeteilt ist. Und wie wird Zeit dann empfunden, wenn sie Lebenszeit ist? Ist die Lebenszeitempfindung einer Eintagsfliege eine andere als die einer Riesenschildkröte, deren Zeiterleben sich in Jahrhunderten misst? Dieser Zeitbegriff ist menschengemacht. Er ist ein Hilfsmittel, um Vergangenes, Erfahrenes, Widerfahrenes, Vernommenes, Geplantes und Unvorhersehbares zu ordnen.

Im Labor der Zeit, 2018, Aquarell, Tusche, Farbstift

Im Labor der Zeit, 2018, Aquarell, Tusche, Farbstift
Bild: Hjuthke
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Das Bewusstsein macht sich auch ein Bild der Zeit an sich. Es hat einen Begriff und eine Vorstellung von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft.

Aber gibt es überhaupt eine Gegenwart? Ist nicht alles noch Gedachte und Vorgestellte Zukunft; befindet sich nicht alles Tun schon an der Schwelle zur Vergangenheit?

Gegenwart ist in diesem Denkschema nur eine subjektive Wahrnehmung, nur eine schmale – eher gedachte, denn darstellbare – Linie im Sein, die Vergangenheit und Zukunft voneinander scheidet. Vergangenheit ist eine weite Dehnung zwischen Erlebtem und Geschichte. Zukunft bleibt im Ungewissen. Denn wir können zwar vorausschauend denken und planen. Aber der Rest unseres Tuns und Seins, Orte, Begegnungen und viele andere Einflüsse liegen nicht in unserer Hand.

Resultiert daraus der Glaube an die Vorherbestimmtheit des Schicksals? Wo bleibt dann der Gedanke einer freien Entscheidung des Menschen, der ihn als einen Bewusstseinsbegabten kennzeichnet? Ist es wirklich Gott, der unsere Geschicke bestimmt und lenkt? Oder ist es nicht eher seinen Geschöpfen aufgegeben, nach seinen Geboten handelnd, das Gottgewollte zu schaffen?

Allen nicht-menschlichen Wesen auf unserer Erde wird das Selbstverständnis, die Selbstwahrnehmung als Wesen in einem Gefüge, das man Welt nennt, und der Begriff der eigenen Existenz in den Grenzen eines Systems von Zeit und Raum abgesprochen.

Was wissen wir denn über andere Formen der Wahrnehmung? Wir sind verhaftet in unserer eigenen Vorstellungswelt.

Gibt es Bereiche, die uns verschlossen sind? Gibt es politische, soziale, emotionale Kategorien, die für uns nicht fassbar sind, weil über die Grenzen unserer Systeme hinaus zu denken für uns unmöglich ist?

Sind es ausschließlich menschliche Gesellschaften, die soziales Empfinden haben? Soziales Leben? Leben in einer Gemeinschaft, braucht eine Organisation. Diese Organisierung geschieht in einer Beziehung zueinander, um die Rolle, die man als Glied der Gemeinschaft hat, zu definieren. Aus diesem Bezug erwachsen Gefühle füreinander: Mitgefühl, Pflege, Fürsorglichkeit. Aber Gemeinschaft erzeugt auch Differenzen: Verantwortlichkeit und Gleichgültigkeit, Sympathie und Abneigung, Freundschaft und Feindschaft, Liebe und Ablehnung.

Emotion kommt zum Ausdruck in Pathos und Psyche, Empfindung und Seele, dem Ort innerer Bewegtheit.

Paul Klee: Das Pathos der Fruchtbarkeit

Paul Klee: Das Pathos der Fruchtbarkeit
The Berggruen Klee Collection, 1984
Lizenz: Creative Commons

Pathos, altgriechisch πάθος, bedeutet Leiden, Empfinden, übertragen eine feierliche Gestimmtheit, eine erhabene Bewegtheit. In der Rhetorik zielt es auf ein emotionales Echo des Hörers, auf seine Empfindungen, seine Identifikation, seine ungeteilte Aufmerksamkeit, seine seelische Teilnahme: seine Psyche.

Psyche, altgriechisch ψυχή‚ lateinisch anima, Hauch, Seele, besitzt auch den Nimbus des alttestamentarischen, den des einen unbelebten Lehmklumpen animierenden Gottesodems, der den Menschen zu einem besonderen Wesen vor allen anderen macht.

Haben Tiere Empfindungen, die Pathos und Psyche ausdrücken, haben sie wie Mitgefühl und Liebe?

Gerade von einem Tier, das in unsere Kommunikation eingebunden ist, von einem vertrauten Haustier, das als guter Freund des Menschen empfunden wird und an seiner Seite ist, präsent und spontan, erlebt der Mensch manchmal mehr Zuspruch und Trost als von einem Menschen.

Der rührende Augenaufschlag eines Hundes, sein Apportieren eines aufmunternden Gegenstandes. Oder das vertrauensvolle Schmiegen einer alten Katze an ihren Menschen. Selbst das konzentrierte Lauschen eines Zwergkaninchens auf die Stimme seines Menschen, Geräusche, Worte, die nur ihm gelten: Auch in der Tierwelt gibt es Emotionen, Mitgefühl, Vertrauen, Fürsorglichkeit, Dank. Man denke nur an die Selbstlosigkeit, mit der ein Elefantenjunges in seiner Herde versorgt wird. Delphine, die einen Menschen vor dem Ertrinken retten. Das alles sind Seelenäußerungen, Zeugnisse tierischer Anteilnahme, innerer Bewegtheit, kreatürlichen Engagements für andere.

Aber wie sonst, wenn nicht mit seiner von Gott gegebenen Überlegenheit, sollte der Mensch seinen Umgang mit der ihm anvertrauten Natur begründen? Und wie soll er vertreten, dass dabei so vieles misslingt und unwiederbringlich zerstört oder getötet wird?

Der Anspruch der Menschheit ist die alttestamentarische Untertanmachung der Erde, die Beherrschung der Natur. Ihr Auftrag ist aber auch Fürsorge, Verantwortung und Schutz der ihr anvertrauten Kreatur. Sind diese Aufträge überhaupt erfüllbar angesichts der Eruptionen, die den Menschen zu einem Spielball ungeahnter Kräfte machen können?

Demut ist das Gebot, wenn es einen Gott gibt, der ihm seine Schöpfung anvertraut.

Ein Menschenbild zwischen Vergänglichkeit und Naturbeherrschung

Wotan

Wotan
Bild: Hermann Hendrich, 1926
public domain

Schon zu allen Zeiten glaubten Menschen an höhere Mächte, Mächte, die über ihnen standen, sie ermächtigten, schützten und bestraften, bestimmten und lenkten. Diese Götter stellten zwar beständig Forderungen, aber sie entließen den Menschen auch aus der Verantwortung seiner Lebensgestaltung, weil sie schicksalsbestimmend waren. Das Fatum, das Schicksal des irdischen Menschen, war vorherbestimmt; und es lag in der Hand der göttlichen Macht.

Ein Unterscheidungskriterium zwischen dem irdischen und dem göttlichen Wesen war zuerst sein Aufenthaltsort. Der Mensch hatte auf Erden seine Heimat, die Götter im Himmel. Für die Griechen des klassischen Altertums war das der Olymp, eine Sphäre, die nach menschlichen Vorstellungen gestaltet und aufgeteilt, jedoch den höchsten Göttern vorbehalten war. Dem Olymp gegenüber stand der Hades, Schattenreich und Unterwelt, das Reich der Toten. Kein Lebender hatte dort Zutritt, so wie kein Toter ihm je wieder entkommen konnte. Die dritte Sphäre war die Erde, χθών, chthṓn, Erde. Sie war überschaubarer. Aber alle Regionen und Bereiche des Lebens unterstanden einer besonderen Regentschaft einer Gottheit. Die bewohnte Erde gliederte sich in menschenfreundliche, bewohnbare Regionen aber auch in abweisende, unwirtliche. Der alles umgebende Himmel dagegen erschloss sich schwerer. Er war sichtbar grenzenlos, unerreichbar, unendlich. Deshalb war er in allen Mythologien schon immer die Wohnung der Götter.

Im Lateinischen heißt Mensch homo, von altgriechisch ὁμός. homós‚ gleich, homilis „gleichartig“. Das ist auch ein humanistischer Gleichheitsgedanke. Das Wort liegt sprachlich nahe an humus, Erde, und humilis, irdisch, niedrig. Tatsächlich bedeutet es wohl „der aus Erde Geschaffene“, Erdling, Irdischer, Vergänglicher. Dahinter stand die Vorstellung der nicht durch ihn selbst beeinflussbaren Vergänglichkeit und des Zeitpunkts seines Todes. Darin spiegelte sich die Gewissheit wider, dass Sterblichkeit Zeitlichkeit bedeutet, das Zurücksinken des Lebendigen in das Tote sein werde.

Der sterbende Mensch bewegt sich wieder zu seinen Ursprüngen, der Erde, dem Humus, der aus sterblicher, toter, dennoch ehemals lebendiger Substanz entstanden war und nun dem Prozess der Zersetzung und Neuzusammenfügung anheimgegeben war. Der Begriff der „Mutter Erde“ knüpft an diese Idee an. Es bestand auch ein Trost darin, als Verstorbener werde man wieder in die Erde eingehen, wieder zu Erde werden, aus der man hervorgegangen war.

Adam und Eva

Adam und Eva
Bild: Albrecht Dürer
public domain

Nach christlicher Lehre war Adam, der Urvater aller Menschen, bei seiner Erschaffung von Gott aus einem Erdklumpen geformt worden.

Die christliche Bestattungsformel gemahnt denn auch: „Erde zu Erde. Asche zu Asche.“ Asche ist der Rest, Kohlenstoff, der übrig bleibt, wenn alle anderen Bestandteile gelöst und verbrannt sind. Der dritte Teil der Formel lautet folgerichtig: „Staub zu Staub.“ Staub ist das, was bleibt, wenn alles Wasser, die Unabdingbarkeit für Leben und Lebendigkeit, zerronnen und in neuen Organismen verstofflicht ist. Der Leichnam zerfällt dann zu Staub.

Obwohl sich die lateinische Sprache, die sich einerseits in mythologischen Übereinstimmungen und andererseits aus kulturell-kolonialen Vermischungen und räumlicher Nähe ergeben hatte, der griechischen Kultur immer verbunden war, zeigt sich im Bereich der philosophischen Auffassung des Begriffs Mensch keine sichtbare Übereinstimmung.

Es findet sich in der Etymologie des altgriechischen Wortes ἄνθρωπος, anthropos, Mensch, kein Hinweis auf eine Gemeinsamkeit mit dem lateinischen homo. Die Herkunft des griechischen Wortes liegt überwiegend im Dunkel; bedeutungsgebend scheinen eher Hinweise auf eine weiter zurückliegende, schwer zu überprüfende indogermanische Wurzel, die auf aufrechten Gang, die Benutzung des Arms, *an-, als spezifisch menschliches Merkmal weist. Denn dies ist eine Fähigkeit, die ihn zur Ausbildung der Hand als Greifinstrument – durch das in der Tierwelt bis dahin unerreichte Novum der Daumenopposition – und damit zum Gebrauch von Werkzeugen und von Waffen tauglich machte. Der Gebrauch des Arms war der Beginn körperlicher Überlegenheit gegenüber anderen Tieren. Als weitere denkbare etymologische Wurzel wird die Hinwendung des menschlichen Gesichts, πρόσωπον prósōpon, zu seinem Gegenüber in Betracht gezogen (1). Ist dieses Merkmal, sein Gesicht mit seinen Absichten, Emotionen, Stärken und Schwächen zu zeigen, nicht das zutiefst menschlichste bei der immerwährenden Konfrontation mit Freund und Feind?

(1) Eine etymologische Spur lautet ‚mit Mannesgesicht begabt’, aus *ἀνδρ-ωπ-ος ‘.Dazu πρόσωπον prósōpon, Gesicht, wobei eine Buchstabenfolge – θ für δ – ungeklärt bleibt.
http://ieed.ullet.net/friskL.html
(Stichwort ἄνθρωπος, Mensch)

Das Zusammenwirken von Mikroorganismen

Mikroorganismen (Bakterien) auf natürlichem Zeolith

Mikroorganismen (Bakterien) auf natürlichem Zeolith
Foto: Stefan Weiss
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In der Natur ist das Leben als Zusammenspiel der Organismen geregelt. Pflanzen dienen als Grundstoff für Nahrung. Aber auch Pflanzen müssen sich ernähren. Ihre Nährstoffe beziehen sie aus dem Boden, der seinerseits Nährstoffe aus abgestorbenem organischen Material gewinnt. Die Nährstoffe sind in Wasser gelöst, sodass die Pflanze sie über ihre Wurzeln aufnehmen kann. Das Wasser ist der Grundstoff, mit dem die Nährstoffe befördert werden. Blätter, Blüten, Früchte und Samen werden erst durch das darin enthaltene Wasser prall und farbig. Ohne Wasser gäbe es weder pflanzliches noch tierisches Leben auf der Erde. Woher kommen die Nährstoffe und wie gelangen sie in den Boden – also in die Erde?

Man muss sich vergegenwärtigen, woraus Erde besteht. Erde besteht nicht aus Sand, zerriebenem Gestein, sondern sie ist kompostiertes Material aus tierischen und pflanzlichen Rückständen. Fruchtbare, lockere Erde besteht überwiegend aus Humus, lateinisch humus. Erde ist also ursprünglich toter organischer Stoff, der durch einen Zersetzungsprozess zu anorganischem Material zerlegt und umgebaut wurde. Erst dadurch werden seine Ursprungsstoffe Pflanzen zugänglich gemacht. Denn nur Pflanzen können ausschließlch anorganische Stoffe aufnehmen. Die aus der Luft und dem Boden gewonnenen Bestandteile Kohlenstoff, Sauersoff und Wasserstoff werden photosynthetisch – mit Hilfe von Sonnenlicht – energetisch angereichert und zu Traubenzucker, einer Glukoseform, und nachfolgend aus weiteren Glukosen zu Stärke und Zellulose umgebaut. Erst so machen Pflanzen die in einem ständigen Kreislauf befindlichen Stoffe Tieren verwertbar. Nicht unmittelbar für Energie. also Bewegung, Stoffwechsel und Wärme gebrauchter Zucker wird seinerseits in tierischen Oganismen zu Fett verstoffwechselt und im Körper als energetische Reserve angelegt. Unter Anbindung von Stickstoff an die Zuckerverbindungen werden Proteine erzeugt, um tierische Körperzellen anzulegen. Daraus bestehen Muskeln, Organe, Teile des Knochen- und Hornmaterials. Proteine bilden die unverzichtbaren biochemischen Substanzen tierischen Lebens. Der Aufbau tierischen Gewebes ist pflanzlichen Grundstoffen zu verdanken.

Humus

Humus
Foto: Edafologia2.0
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Wie aber geschieht diese Aufbereitung zu Humus, also fruchtbarer Erde, deren durch Pflanzen umgebaute Inhaltsstoffe tierisches Leben wieder ermöglicht?

Zuerst sind es saprophage, fäulnisverzehrende – aus altgriechisch σαπρός sapros faul, und φαγεῖν phageín, essen – sich also von faulendem Material ernährende biologische Organismen, die als Saprobionten – aus altgriechisch σαπρός sapros faul, und βίος bíos,Leben – auf abgestorbenem Naturmaterial leben.

An diesem Verwertungsprozess sind verschiedene Lebewesen beteiligt. Fäulniszerlegende Tiere wie Regenwürmer oder Mistkäfer beschleunigen diesen Vorgang, indem sie durch ihre Exkremente vergrößerte Abbauflächen schaffen, die den Zugriff der Mineralisierer erleichtern.

Die Mineralisierer als fäulniserregende Mikroorganismen übernehmen sodann diese Aufgabe, indem sie die organischen Nährstoffe unter Anbindung von Sauerstoff, Kalium, Natrium, Phosphor, Stickstoff zu anorganischen wie Kohlendioxyd und lebenswichtigen Salzen umbauen.

Bei dem Umbau organischen Materials zu anorganischen Stoffen kommen Destruenten zum Einsatz. Destruenten – aus lateinisch destruere, zerstören, abbauen – sind Mikroorganismen wie Bakterien und Pilze. Sie nehmen organisches Material auf, verdauen es und zerlegen es wieder in ihre anorganischen Grundstoffe. Dadurch schließen sie es dem pflanzlichen Stoffwechsel auf. Diesen Prozess der Rückführung in den biogenen Stoffkreislauf nennt man Assimilation. Assimilation ist notwendig, weil Pflanzen nicht in der Lage sind, totes Material, das sich aus organischen Verbindungen zusammensetzt, aufzunehmen. Sie sind also darauf angewiesen, dass Mikroorganismen vorher diese chemische Zerlegung übernehmen, um ihnen elementare Nährstoffquellen zu erschließen. Danach sind es schließlich Pflanzen, die tierisches Leben ermöglichen, weil sie der Tierwelt Nahrung zur Verfügung stellen.

Daraus leitet sich die Verbildlichung der Nahrungspyramide ab. Dieses Modell verdeutlicht, wie eine große Menge von pflanzenfressenden Tieren einer kleiner werdenden Menge von Fleischfressern als Nahrunsgrundlage dient.

Leben ist nach dieser Definition und Vorstellung nur unter den Bedingungen möglich, die unser Planet Erde bietet: Gemäßigte Temperaturen durch einen günstigen Abstand zur Sonne und Sonnenlicht, das ausschließlich chlorophyllproduzierende grüne Organismen zu dem biochemischen Umwandlungsprozess der Photosynthese befähigt.
Photosyntese bedeutet, dass mithilfe des lichtabsorbierenden Farbstoffs Chlorophyll Lichtenergie in chemische Energie umgewandelt wird, die dann zum Aufbau energiereicher organischer Verbindungen verwendet wird. Diesen Vorgang der Synthese energiereicher organischer Stoffe, der als Nahrungsgrundlage für tierische Lebewesen dient, bezeichnet man als Assimilation.

Photosynthese betreiben neben dem den pflanzlichen Hauptproduzenten (1) auch grüne Algen, die nicht eindeutig in das Reich Pflanzen gehören, und einige grüne Bakterienarten, die man zu den Tieren zählt.

Diese Herstellung von energetischer Nahrung ist für tierisches Leben unverzichtbar. Dabei produzieren Pflanzen den für tierische Existenz unabdingbaren Sauerstoff, den sie als Abfallprodukt der Photosynthese abgeben. Das zeigt die Unabdingbarkeit „grüner Lungen“ – von Parkanlagen über Wälder bis zu Regenwäldern. Nur Pflanzen sind dazu in der Lage, Kohlendioxyd aufzunehmen, zu nährstoffreichen Kohlenstoffverbindunen zu verarbeiten und lebenswichtgen Sauerstoff zu erzeugen.

Mikroorganismen vervollständigen den Kreislauf der Stoffe, indem sie das fehlende Glied zur Rückführung in anorganische, für den pflanzlichen Organismus aufnehmbare Grundsubstanzen, bilden.

Auf diesem Zusammenwirken basiert alles Lebendige. Jede biologische Existenz ist in einem beständigen Kreislauf aufeinander angewiesen. Ohne die dem menschlichen Auge nahezu verborgenen Mikroorganismen würde die Erde, die immer neues Leben hervorbringt und untergehen lässt, die also fortgesetzter Erneuerung bedarf, um Leben zu ermöglichen, an einer unzersetzten Fäulnisflut ersticken.

(1) Schmarotzende, nicht Chlorophyll produzierende Pflanzen leben auf und von anderen. So bedienen sich chlorophyllfreie Pflanzen wie der Fichtenspargel in Gänze der Fähigkeit ihrer Wirtspflanze zur Nährstoffanreicherung. Blassgrüne dagegen zapfen ihre Wirtspflanzen für Nährstoffe und Chlorophyllgaben an.

Parasitismus und Symbiose – Abhängigkeit, Ausbeutung, Anpassung und Lebensgemeinchaft

Schlupfwespe

Schlupfwespe
Foto: Hedwig Storch
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Unterschiedliche Formen von gemeinsamer Existenz und Zusammenleben der Lebewesen, der Abhängigkeit voneinander, des Angewiesenseins aufeinander, prägen die Natur in ihrer Vielgestaltigkeit. Leben wird durch das Leben und Sterben anderer Lebewesen erzeugt und fortentwickelt.

Lebewesen ernähren sich von anderen Lebewesen. Pflanzenfresser leben von Pflanzen oder deren Erzeugnissen, Fleischfresser ernähren sich von ihren Beutetieren.

Eine besondere Lebensform ist der Parasitismus. Parasiten leben von ihren Wirten, also den Lebewesen, die sie „bewirten“, ihnen Nahrung und Obdach geben. Sie machen sich die vitalen Fähigkeiten ihres Wirtes zunutze. Sie schwächen ihn möglicherweise, weil sie von seinen Lebenssäften profitieren, ohne ihn aber bis zu seiner völligen Erschöpfung zu schädigen und bis zum Verlust seines Lebens zugrunde zu richten.

Die existenzielle Vernichtung des Wirtstieres dagegen nennt man parasitoid. Die Nachsilbe -oid, die im üblichen Sprachgebrauch eher abschwächend zu verstehen ist, bedeutet ähnlich. Parasitoide sind also Parasiten ähnlich, sie unterscheiden sich jedoch von ihnen, indem sie ihren Wirt bis zu dessen Tod ausbeuten. Beispielhaft hierfür sind Schlupfwespen, Ichneumonidae, deren Name von altgriechisch ἰχνεύμων, ç(1), abgeleitet ist. Schlupfwespen sind taxonomisch gesehen eine eigene Familie, die wie gewöhnliche Wespen nur zur Ordnung der Hautflügler zählen. Sie haben jedoch nichs mit herkömmlichen staatenbildenden Wespen zu tun und leben, wie der Name Schlupfwespe sagt, ausschließlich parasitär. Die Weibchen sind mit einem langen Legestachel versehen und injizieren damit ihr verhängnisvolles Ei in den Körper ihres spezifischen Opfers, also im Falle unseres Beispiels zeitlich und räumlich treffsicher in den Leib der Kohlweißlingslarve. Die aus dem Ei geschlüpfte Larve des Parasitoiden ernährt sich von den Eiweiß- und Fettreserven der sie berherbergenden Schmetterlingslarve, ohne zunächst ihre lebenswichtigen Organe anzugreifen, um ihren Wirt nicht lethal zu schädigen und um dessen unverzichtbare Lebensfunktionen aufrechtzuerhalten. Die Schlupfwespe verlässt nach der Metamorphose im Kokon ihres Wirts als fertiges Insekt den Ort ihrer Entstehung und lässt die gekaperte Larve als tote Hülle zurück.
Eine andere Schlupfwespenart saugt an den Hnterbeinen einer Radnetzspinne und erzwingt durch die Injektion biochemischer Zusätze einen anderen Bauplan des Netzes. So bewirkt sie den Bau eines für die Verpuppung ihrer Raupe geschaffenen Kokons.

Solche parasitoide Lebensformen haben Philosophen und Biologen von Platon bis Darvin beschäftigt und an der göttlichen Weisheit des Zusammnspiels der Natur zweifeln lassen.

Ganz anders zu verstehen ist die gemeinsame Lebensform der Symbiose, altgriechisch συμβίωση. Das Wort ist zusammengesetzt aus συμ, zusammen, und βίωσ, biologische Existenz, also βίωση, leben, existieren. Symbiotisch leben heißt, dass beide beteiligte Lebewesen von ihrer Gemeinschaft profitieren. In der Pflanzen- und Pilzwelt zeigt sich das häufig schon an den Namen, die ihre Standortgemeinschaft beschreiben: Birkenröhrling, Erlenporling, Eichen- und Fichtensteinpilz.

Der Fruchtkörper des Pilzes ist nur der sichtbare Teil der „Pilzpflanze“. Man geht heute aber davon aus, dass Pilze weniger den Pflanzen nahe stehen als den Tieren. Der Pilzorganismus bildet mit den haarfeinen Hyphen seines Myzeliums, dem unterirdischen Wurzelbereich – der eigentlichen Lebensgrundlage – ein enges Geflecht um die Wurzeln seines Partners. Beide spenden einander Wasser, Nährstoffe und Mineralien, die ihnen aus eigenen Quellen und Fähigkiten nicht zugänglich sind.

Krokodil im Okavangodelta

Krokodil im Okavangodelta
Foto: Hp.Baumeler
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Symbiotische Lebensformen zeigen sich auch in der Tierwelt. Eindrucksvoll sind die Aktivitäten von Putzerfischen, die die Zähne gefräßiger Haifische reinigen, während deren Nahrungsreste ihnen zur Ernährung dienen. Die sonst so gefährlichen Zahnreihen werden ihnen geduldig geöffnet, ohne dass den kleinen Fischen ein Leid geschähe. Eine ähnliche Konstellation kann man bei Krokodilen beobachten, deren Ruf an Gefährlichkeit denen der Haifische in nichts nachsteht. Hier sind es kleine Vögel, denen ein weitgeöffneter Rachen zur Reinigung und Pflege des todbringenden Gebisses dargeboten wird, ohne dass die in ihrem Maul arglos herumhüpfenden Vögel Anstalten machten, sich vor der Bestie zu fürchten.

Bei der Betrachtung dieser symbiotischen Beziehungen drängt sich die Frage auf, wie das Wissen um die Nützlichkeit des jeweiligen Symbiosepartners zustandekommt, handelt es sich doch dabei um Partner, die eher in ein Beute-Feind-Schema einzuordnen wären. Vielleicht kommt hier nachahmendes Lernen als junge Anpassungstrategie in Frage. Dagegen spricht aber, dass beim Lernen das Risiko durch Try-and-Error-Verfahren eine tödliche Konsequenz hätte. Daher scheint die Annahme naheliegender, dass eine Art genetische Verankerung dem Verhalten innewohnt, die sich schon seit Jahrmillionen gebildet haben dürfte.

Pflanzen verfügen im Gegensatz zu Tieren nicht über einen erkennbaren Fortbewegungsapparat. Daraus resultiert die schlichte Einteilung von standortverwurzelter, „eingepflanzter“ Pflanze – lateinisch planta -, und beweglichem, kampf- und verteidigungsbereitem Tier, dessen Überlebensstrategien dadurch weit komplexer sind. Der Name Tier, geht auf althochdeutsch tior, das Beseelte, zurück, und ist verwandt mit gotisch dius. Beidem liegt die Auffassung zugrunde, wie es sich in lateinisch animale, das beseelte Wesen, aus anima, Seele, ausdrückt, daß Tiere, wozu biologisch auch Menschen zählen, beseelt seien.

Betrachtet man See-Anemonen, die sehr pflanzenähnlich wirken, indem sie festhaftend auf dem Grund stehen, und ihren mit blütenblättergleichen Tentakeln bewehrten Kopf in den Wellen wiegen, so weiß man dennoch, dass sie Weichtiere sind, die wie andere Tiere auch von lebenden Organismen leben.

Die Unterscheidung von Lebewesen in Zoologie und Botanik ist zunächst eine Kategorisierung in Tier und Pflanze, von animale und planta. Der offensichtlichste Unterschied beider ist durch Verwurzelung oder Fortbewegung gekennzeichnet. Das wichtigste biologische Unterscheidungsmerkmal aber ist, tierischen Organismen Energie zur Verfügung zu stellen. Nur grüne Pflanzen sind zur Energiegewinnung in der Lage, durch Photosynthese Lichtenergie in Nahrungsenergie umzuwandeln. Dabei spielt der grüne Farbstoff eine entscheidende Rolle. Das Blattgrün – das Chlorophyll, aus altgriechisch χλωρός, chlōrós, hellgrün, und φύλλον phýllon, Blatt, – versetzt grüne Pflanzen in die Lage, organisch verwertbare Nahrung zu erzeugen, also tierischem Leben erst Energie zugänglich zu machen. Diese nur ihnen bereitstehende Quelle, Licht zu nutzen, zeigt ihre Unabdingbarkeit für das Leben auf der Erde. Photosynthese bedeutet „Zusammensetzung durch Licht“, aus altgriechisch φῶς, phōs‚ Licht und σύνθεσις, sýnthesis, Zusammensetzung. Energiearmen chemischen Stoffen wie Kohlendioxid und Wasser wird durch die Verbindung mit hochenergetischem Sonnenlicht Energie zugeführt. Diese anorganischen Grundstoffe, bestehend aus Kohlendioxid aus der Luft und Wasser aus dem Boden, werden energetisch umgewandelt zu organischen Stoffen, den Kohlehydraten Zucker und Stärke. Aus diesem Grund sind auch Pflanzen, die wegen ihres Chlorphyllmangels unfähig sind, durch Photosynthese Energie zu gewinnen, nur als Schmarotzer grüner Pflanzen existent.

Dass sich auch Pflanzen bewegen, ist allenthalben erkennbar, besonders bei einem Sonnenblumenfeld, wo sich alle Blüten synchron den ganzen Tag über nach dem Licht drehen. Auf französisch heißen sie deshalb Tourne-soleil. Sie wenden sich der Sonne zu, um ihre zu wahrhaften Energiespeichern heranreifenden Samen optimaler Sonnenbestrahlung auszusetzen. Das Gleiche kann man auf der Fensterbank beobachten, wenn man eine Pflanze dreht. Sie richtet sich immer wieder nach dem Licht aus, um deren Energie in ihren Blättern anzureichern.

Es gibt auch Pflanzen, die sich sogar an Land fortbewegen. Vom Wind getrieben kugelt sich die „Rose von Jericho“ als ein trockener Gestrüppball durch den Wüstensand. Sie schlägt dort Wurzeln, wo sie Wasser und Nahrung findet und dann wieder zu blühendem Leben erwacht. Später, wenn ihre Versorgungsquellen erschöpft sind, setzt sie ihre Reise als scheinbar vertrocknete Kugel fort, um sich neue Nahrungsgründe zu erschließen.

(1) Der Name Ichneumon, Spürer, steht nicht in direktem Zusammenhang mit „Schlupfwespe“ an sich, sondern bezieht sich auf eine besondere andere Schlupfwespenart, Ichneumon eumerus. Sie ist ein Hyperparasit, d.h. ein Parasit, der einen anderen parasitär ausnutzt. Sie spürt die Larven ihres Wirtstieres, eines Schmetterlings, der parasitisch in einem Ameisembau lebt, von außen auf. Das Eindringen in den Bau und das Verlassen desselben erfolgt durch den Einsatz verschiedener die Ameisen von Grund auf verwirrrender Pheromone.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ichneumon_eumerus

Das Corona-Virus – Parasitismus als Modell für virale Existenz

Fichtenspargel (Monotropa hypopitys)

Fichtenspargel (Monotropa hypopitys)
Foto: Aorg1961
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Die lebendige Natur existiert – lebt und stirbt – innerhalb einer Nahrungskette. Leben und Sterben ist ein gemeinsames System, in dem sich notwendig lebendige Existenz vollzieht. Die Ernährung von Lebewesen kann nur aus lebendigem Material (1) bestehen. Essbar im Sinne von nahrhaft können nur Stoffe sein, die aus der belebten Natur stammen. Alle Lebewesen ernähren sich also in irgendeiner Form von anderen.

Parasit ist ein Wort, das, aus dem Altgriechischen stammend, auf παρά, pará, bei, neben, mit und σῖτος sītos, (Gereide-) Kost zurückgeht, woraus sich „Nebenkoster“ für παράσιτος, parásitos (2), ergibt. Klassische tierische Parasiten bewohnen ihre Wirte in deren Körperinneren und ernähren sich auf diese Weise von fremden Ressourcen, den Körpersäften.

Parasiten im engeren Sinne benötigen, um sich zu vermehren, neben dem Wirt, von dem sie leben, einen Zwischenwirt, in dem sich ihre befruchteten Eier bis zum Larvenstadium entwickeln, um dann ausgeschieden zu werden. Ausnahme des Parasitismus ist die Entwicklung des Parasiten bis zu seiner endgültigen Reifung, wenn er seinen Wirt tötet, indem er ihn als bloße Hülle zurücklässt, um ein neues geschlechtliches Leben nach einer Metamorphose zu beginnen. Ein Beispiel dafür sind Schlupfwespen. Parasitäre Würmer bleiben zeitlebens im Körperinneren eines Wirts, den sie nur wechseln, um einen neuen Wirt für ihre geschlechtliche Vermehrung aufzusuchen.

Blutegel als Parasit einer Nacktschnecke

Blutegel als Parasit einer Nacktschnecke
Foto: Manuel Krueger-Krusche
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Zwischenwirt ist ein Begriff aus der Parasitologie. Er hat also ursächlich mit Parasitismus zu tun. Parasiten sind Lebewesen, die man mehr zu fürchten geneigt ist, als gefährliche Tiere mit offenem Visier. Parasiten verrichten ihr schädliches Tun im Verborgenen. Sie ernähren sich direkt von den Lebenssäften anderer Lebewesen. Das macht sie uns fremder, ekelerregender und unheimlicher, als die bedrohliche Sichtbarkeit einer Bestie es könnte.

Jetzt taucht der Begriff des Zwischenwirts, der genuin der Parasitologie eigen ist, in der Virologie erneut auf. Er ist eine Metapher, eine bildliche Übertragung, die dazu dient, den Angriffsweg eines Virus zu beschreiben.

Ein Virus, das auf ein bestimmtes Tier spezialisiert ist, kann nicht direkt auf den Menschen überspringen, solange es keine Möglichkeit hat, sich Eingangspforten in die menschliche Zelle zu erschließen, vergleichbar einer Schloss-Schlüssel-Funktion. Dafür bedarf es einer Mutation, einer dauerhaften, genetischen Veränderung.

Ebola Virus

Ebola Virus
Foto: BernbaumJG
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Viren sind extrem wandlungsfähig, und damit aggressiv, zugunsten ihrer Verbreitung. Diese Wandlungsfähigkeit, die in eine Mutation mündet, kann das Virus nur in den Zellen eines anderen geeigneten Lebewesens, eines Zwischenwirts, vollziehen. Erst dann verlässt es diesen Zwischenwirt, um noch erfolgreicher in dem neuen Wirt Mensch zu wirken, indem es diesen als besonders brauchbaren Vermehrer benutzt. Ziel dieser Funktion ist seine maximale Ausbreitung, über Kontinente hinweg, was schließlich zu einer Pandemie führen kann. Betrachtet man das Virus als Parasiten, so dient das befallene Lebewesen – der Mensch – als Nährboden seiner Vervielfältigung und Ausbreitung. Die virusgesteuerte Zelle übernimmt seine Reproduktion bis sie schließlich an Überbeanspruchung und Fremdbestimmtheit zusammenbricht und zugrunde geht.

(1) Es gibt allerdings Bakterien, die dazu in der Lage sind, Steinen Mineralien zu entziehen, um sich davon zu ernähren. Inwieweit diese Fähigkeit Ernährung im Sinne eines Systems von Energiegewinnung und -einsatz und Verstoffwechselung ist, ist zu diskutieren. Es zeigt sich darin aber die unabweisliche Notwendigkeit für andere Lebensformen, dass Mikroorganismen, lebenswichtige anorganische Stoffe erschließen.

(2) Diese Bezeichnung hat ursprünglich einen anderen Hintergrund. Ein Parasitos war ein Vorkoster, dessen Aufgabe darin bestand zu prüfen, ob das für den Herrscher bestimmte Mahl bekömmlich und ungiftig sei. Auf diese Weise ernährte sich der Parasitos zwar in gewisser Weise riskant, aber bestens und gratis. Allerdings minimierte sich das Risiko einer Vergiftung bereits durch seine bloße Existenz.

Triage – Wiederbelebung eines Modells aus der Katastrophenmedizin der 80er Jahre

Triage-Station

Triage-Station
Quelle: Otis Historical Archives Nat’l Museum of Health & Medicine
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Triage war ein fast vergessener Begriff aus der Katastrophenmedizin, aus den Überlegungen, die im im 1. Weltkreig bereits behandlungsleitend für die Sanitäts – und Lazarettmedizin waren. Jetzt, angesichts der Corona-Krise, wird er wiederbelebt und zu einer existentiellen Frage.

In dem französischen Fremdwort Triage erkennt man unschwer die Zahl drei, tri- wie in Triangel, Trisomie, Trio. Dann folgt eine substantivische Endung -age, wie in Garage, Montage, Vernissage, d.h. etwa -ung – „Dreiung“ oder Dreiteilung, Priorisierung. Darin zeigt sich ein Gedanke, wie man ihn praktischerweise beim Aussortieren des Kleiderschranks entwickelt. Man stellt drei Kategorien zusammen, vielleicht drei Kartons auf, in die man die alten Sachen verteilt: Ja. Vielleicht. Nein.

Eine vergleichbare Einteilung stellte die Katastophenmedizin auf:
Ja – heilbar, nutzbar und jung.
Vielleicht – möglicherweise heilbar und wieder einsetzbar.
Nein – geringe Überlebenschance, zu alt, gesellschaftlich und medizinisch zu kostspielig.

Diese Priorisierung wird in Zeiten der Corona-Krise wieder aktuell, weil die Krankenhausversorgung aus materiellem und personellem Mangel Züge von Notfallmedizin bekommt.

Menschen, die eingeliefert werden mit Symptomen von Atemnot, müssen nach Gesichtspunkten dieses Verfahrens beurteilt werden. Menschen, deren Prognose ungünstg ist, werden eher mit Schmerzmittlen statt intensivmedizinisch versorgt. Demokratisch etablierte Grundsätze der Gleichbehandung, die dadurch nichtig werden, werfen moralische, medizinethische Fragen auf.

Im Katastrophenfall einer Pandemie folgen Leben und Sterben hinter Plastik, auf Fluren, ohne menschlichen – vielleicht verwandtstchaftlichen – Beistand. Das ruft Beunruhigung hervor.

Es werden auch Erinnerungen an Selektion geweckt, wie sie in Konzentrationslagern üblich war, Befürchtungen von Aussonderungen nach Kosten-Nutzen-Aspekten.

Die Bedrohung durch einen Atomkrieg, wie sie noch in den Ausgängen des Kalten Krieges in den siebziger Jahren spürbar waren, wurde in den frühen 80er Jahren abgelöst durch die Angst vor dem Versagen eines Atomkraftwerks, durch die Vorstellung einer Katastrophe, die sich an ihren sichtbaren und unabsehbaren Folgen wie in Hiroshima und Nagasaki orientierte. Dort hatten am Ende des 2. Weltkriegs als Antwort auf den Angriff Japans auf den US-Flottenstützpunkt Pearl Harbour im Südpazifik zwei Atombomben das Leben fast vollständig ausgelöscht und Überlebende zum Siechtum bis in kommende Generationen verurteilt. Mit dem Einsatz von Atomwaffen hatte Krieg eine neue Dimension. Verletzung war nunmehr kein Einzelschicksal, sondern ein generatives. Kriegswunden mussten nicht mehr konventionell versorgt – verbunden und operiert – werden, sondern eine genetische Beschädigung würde unabsehbare Konsequenzen zeitigen.

Was sollte geschehen mit den Opfern, eine Frage, die Mediziner vor ungeahnte Probleme stellen würde?

Deshalb ging es zunächst darum, die Frage der Vorrangigkeit zu beantworten. Daraus entstand der katastrophenmedizinische Begriff der Triage.

Diese Vorrangigkeit, also die Frage der Priorität der Opfer und ihrer Behandlung, glaubt man nun abermals durch das priorisierende Verfahren einer Triage feststellen zu können.

Triage vor dem Pentagon am 11. September 2001

Triage vor dem Pentagon am 11. September 2001 – Foto: JO1 MARK D. FARAM, USN – public domain

Jetzt ist plötzlich eine medizinische Katastrophe in unmittelbarer, bisher kaum vorstellbarer und fühlbarer Nähe. Im hochentwickelten, reichen Norden Italiens, der Lombardei, fehlen Beatmungsgeräte. Ärzte und Pflegepersonal sind menschlich, medizinisch und berufsethisch überfordert. Experten, aus China zu Hilfe gerufen, sind ratlos ob der unzureichenden Vorbereitung und des unprofessionellen Umgangs mit einer Epidemie, wie sie die heutige wirtschaftliche Verflechtung schon längst nahelegte.
Dennoch hielt sich die westlche Welt für überlegen, für unverwundbar.

Jetzt fühlen sich die Alten überflüssig und ungewollt. Soziale Nähe gibt es nur medial, Medien aber sind der älteren Generation nicht so vertraut und leicht zugänglich. Ärmere Menschen sind materiell und technisch weniger gut versorgt. Abseits großer Städte ist der Empfang weniger breit und gut. Kinder werden zum Abstandhalten abgerichtet. Fremdes wird gemieden. Suizide nehmen zu. Haustiere werden ausgesetzt. Reiche schaffen sich vorsorglich ein eigenes Beatmungsgerät an. Dann könnte ein Luxusgut ihr Leben retten.

Dies ist nicht nur eine Frage der Medizinethik, sondern auch der Rechtsethik, eine moralphilosophische Überlegung mit hoch praktischem Geschehensvorstellungen. Es sind Fragen, die sich heute neu stellen, jenseits von Krieg und erlebtem und wieder denkbarem Faschismus.

Das Grundgesetz stellt fest: Alle Menschenleben genießen vor dem Gesetz gleichen Schutz. Es wird schwierig im Konkreten: Wessen Leben geht im Fall der Konkurrenz vor. Ich führe das Beispiel an, wenn zwei Leben gegeneinander abgewogen werden müssen. Man denke an den Konflikt, wenn das Leben der Mutter – erst recht, wenn es noch weitere Knder gibt – und das des ungeborenen Kindes kollidieren. Nach der Rechtsprechung entscheidet man für die Mutter, die Person, die im Leben steht, Veranwtortung trägt für eine Familie, das Leben eines Kindes begleitet und besorgt. Das Ungeborene zwar hat das ganze Leben vor sich, aber es ist noch nicht eingebettet in den sozialen Kontext. Es ist wie ein unbeschriebenes Blatt, ein offener Ausgang. Ohne Schutz und Versorgung durch die Mutter würde man es vielfachen Gefährdungen aussetzen.

Ist das gerecht? Sollte man nicht das perspektivische Leben des ungeborenen Kindes gleich bewerten wie das – vielleicht nur vorgestellte – Leid der Mutter?

Wie gewichtet man das? Kann man einem menschlichen Leben die Priorität, den Vorzug vor dem anderen geben? Kann der Mensch über Leben oder Tod nach Gesichtspunkten von Kosten, Nutzen und zugeteilten Chancen entscheiden?

Schuppentiere – Opfer einer irrationalen Panik

Weißbauch-Schuppentier (Manis tricuspis)

Weißbauch-Schuppentier (Manis tricuspis)
Urheber: Николай Усик / http://paradoxusik.livejournal.com/
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Bis vor gar nicht langer Zeit wusste kaum einer von ihrer Existenz. Schuppentiere, Pangolins , sind archaische Säugetiere mit ungewöhnlicher körperlicher Ausstattung, einer für Säuger ungewöhnlichen Anpassungsleistung, Überbleibsel aus einer vorgeschichtlichen Welt.

Pangolin ist aus dem Malaiischen entlehnt, Peng-guling, üblich im englischen und französischen Sprachraum. Der zoologische Name lautet Manidae, „Totengottähnliche“. Das ist aus dem Lateinischen abgeleitet: manis, Plural manes sind römische Totengötter, ein Bezug, der auf ihre verborgene Lebensweise deutet. Die Ordnung nennt sich Pholidotae, altgriechisch etwa „Krummbeinige“. Entwicklungsgeschichtlich zählen sie zu den Carnivoren, Jägern, Fleischfressern.

Statt eines Haarkleides sind sie auf den Außenseiten ihres Körpers von einem Panzer aus dachziegelartig übereinander angeordneten Schuppen bedeckt, die an einen Tannenzapfen erinnern, ein Aussehen, das ihnen den Namen Tannenzapfentiere eingebracht hat. Dieses Äußere macht sie trotz ihrer bedächtigen Fortbewegungsweise unattraktiv für jeden Fressfeind, der am Ende ratlos vor einer abweisenden Schuppenkugel steht, wenn seine vermeintliche Beute, sein Junges in seinem eingerollten Körper schützend, einfach vor ihm liegen bleibt. Das erinnert an heimische Igel oder amerikanische Skunks, die sich bei Gefahr zusammenziehen und ihr Stachelkleid abweisend aufrichten. Dieses Verhalten ist eine vegetative, instinktgebundene Reaktion und rührt aus einer Zeit, als das Feind-Opfer-Verhältnis noch ein anderes war, eine Antwort auf Bedrohung, die dem menschengemachten Fortschritt nicht standhält.

Schuppentiere leben tagsüber schlafend in verborgenen Winkeln, Erdbauten unter umgestürzten Bäumen mit Gängen und Schlafkammer, deren Eingang mit Schlamm verschlossen wird, oder in unzugänglichen Baumhöhlen, die sich menschlichem Zugriff entziehen. Spürhunden, die auf ihren Geruch abgerichtet sind, sind diese Verstecke nicht gewachsen. Das erleichtert die Jagd auf die tagscheuen Tiere. Schuppentiere sind dämmerungs- und nachtaktiv, leben solitär, kümmern sich nur um ein einzelnes Junges, das sie in ihrer Höhle versorgen, bis es an den Rücken der Mutter geklammert die Welt erkunden kann. Sie klettern mit drei langen Grabkrallen umständlich sich auf- und abwärts hangelnd und gehen gemächlichen Schrittes ihrer Nahrungssuche nach. Sie ernähren sich von Ameisen und Termiten, brechen ohne Eile deren Baue auf und suchen mit der ausfahrbaren, klebrigen Zunge ihres zahnlosen Kiefers nach ihrer spezifischen Nahrung, Eiern und Larven staatenbildender Erdinsekten. Ihre Gelassenheit beziehen sie aus ihrer drachenhaften Unverwundbarkeit, fehlender Nahrungskonkurrenz und dem Schutz der Dunkelheit. Ihr einziger Feind ist der Mensch, aber das erkennt ihr Wahrnehmungs- und Nervensystem nicht, wenn es befiehlt, sich im Verborgenen zu halten, im Zustand des Aufgerolltseins die Schuppen aufzustellen und einen skunk-ähnlichen Stoff aus den Analdrüsen zu verbreiten.

Temminck's Schuppentier

Temminck’s Schuppentier – Quelle: Illustrierter Leitfaden der Naturgeschichte des Thierreiches, 1876 – public domain

Was macht sie aber jetzt plötzlich so berüchtigt, zu Hassobjekten, zu Wesen, deren Berührung man scheuen müsste, die wie Fledertiere zu todbringenden Geißeln der Menschheit werden?

Wie Fledermäuse werden sie als exotische Delikatessen auf den Wildtiermärkten Chinas und Afrikas gehandelt. Ihre Schuppen, sogar auch aus Westafrika eingeführt, gelten besonders in der traditionellen chinesischen Medizin als Aphrodisiakum und Mittel zur Potenzsteigerung. Daher ereilt Schuppentiere die gleiche Verfolgung wie Nashörner, Tiger und Haie, die wegen ihrer besonderen natürlichen Ausstattung bejagt werden.

Ein solcher Wildtiermarkt, wie der im chinesischen Wuhan, ist Ort ungewöhnlichen Kontakts zwischen Menschen und zwischen Tieren, deren Habitate sich normalerweise nicht berühren. Die Tiere werden, auf engstem Raum zusammengepfercht, lebend angeboten. Der Käufer kann ihre Schlachtung verfolgen oder sie lebendig mitnehmen.

Werden also virenverseuchte Wildtiere, deren Ansteckungsrisiko ungewiss ist, weil die Wege, die ein Virus nimmt, unerforscht sind, mit anderen zusammen in benachbarten Käfigen gehalten, kann das Virus leicht Übertragungsschranken überwinden und zur Infektionsquelle für den Menschen werden. Dann steht das verhängnisvolle Tor einer Mensch-zu-Mensch-Übertragung offen und der Infektionsanstieg wird unabsehbar.

Letztendlich trägt in erster Linie der Mensch die Verantwortung für die Verbreitung des Virus, weil er die nötige Distanz zu den Wildtieren aus den unterschiedlichsten Gründen nicht gewahrt hat. Die Zerstörung von gewachsenen Ökosystemen, aber auch der ungebremste Handel mit Wildtieren, macht den zunehmenden Ausbruch von Epidemien immer wahrscheinlicher.

Fledermäuse – flatternde Nachtgespenster

Zwerg-Fledermaus (Pipistrellus pipistrellus)

Zwerg-Fledermaus (Pipistrellus pipistrellus)
Urheber: Manuel Werner, Nürtingen (Arbeitsgemeinschaft Fledermausschutz Baden-Württemberg)
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In einem mittelalterlichen Gemäuer eines südfranzösischen Dorfes hielt ich einmal ein verirrtes Flattertierchen in meinen Händen. Federleicht und so zart, dass ich das Klopfen seines Herzens in den Fingern spürte. Bewegliche Ohren an einem stumpfnasigen Köpfchen, durchscheinende Gliedmaßen, eingefaltete Flughäute, vom Stummelschwanz bis zu den „Armen“ reichend: Ein winziges Fellbündel, nicht zum Laufen, sondern zum Fliegen bestimmt. Kein Vampirgebiss schlug sich in meinen Hals, kein unheilvolles Schwirren und Flattern entspann sich, als es erleichtert durchs Dachfenster und in die Freiheit der hereinbrechenden Nacht entfloh.

Seit einiger Zeit rücken Fledertiere ins Licht des öffentlichen Interesses. Aber sie stehen in keinem guten Licht. Sie sind nicht einmal Nagetiere wie Ratten, die Überträger der Pest. Sie sind nächtens jagende Insektenfresser, erkennbar an ihrem spitzzahnigen Insektenfressergebiss, wie man es von unterirdisch wirkenden Maulwürfen und ruhelosen Spitzmäusen kennt. Fledermäuse sind lichtscheue, nachtaktive Gesellen. Sie stehen im Verdacht, todbringende Seuchen wie Ebola, Sars, Mers und zuletzt Corona über die Menschheit zu bringen. Aber so einfach und schematisch verhält sich sie Krankheitsübertragung nicht.

Townsend-Langohr (Corynorhinus townsendii)

Townsend-Langohr (Corynorhinus townsendii) – Urheber: PD-USGov, exact author unknown gemeinfrei

Fledermäuse, „Mäuse“ der Lüfte, dieses unsichtbare, lautlos flatternde Getier, sind Säugetiere, ausgestattet mit Flüghäuten und einem ungewöhnlichen, hoch spezialisierten Wahrnehmungssystem. Statt überempfindlicher konventioneller optischer und akustischer Fähigkeiten, wie sie Jägern und Gejagten der Dunkelheit eigen sind, verfügen sie über ein besonderes Ortungsorgan, das dem Echolotsystem eines Kriegsschiffes gleicht. Es gibt Auskunft über die Entfernung und Größe eines Objekts, indem dessen Resonanzstärke ermittelt wird. Diesen Daten werden lebenswichtige Informationen zur Lokalisation und Übereinstimmung des Beuteschemas sowie zur Verhinderung von Kollisionen mit Hindernissen entnommen.
Das Echolotsystem erlaubt Fledermauspopulationen, sich in unzugänglichen Höhlengängen einzurichten und den Tag in stickigem Koloniendunkel zu verdämmern. Eng aneinander geschmiegt hängen sie kopfüber an eigens dazu bestimmten Krallen und erwarten die nächtliche Jagdzeit.

Was sollte sie nun bedrohlich machen?

Fledermäuse sind Virenträger, deren enges Zusammenleben sie mit einer vielfältigen gruppenspezifischen Immunabwehr, einer Herdenimmunität vesieht. Ihr Immunsystem duldet wahrscheinlich ein höheres Virenpotential als das menschliche. Entscheidend könnte dabei die Rolle sein, die Interferone,
von lateinisch interferre, eingreifen, spielen. Es sind Proteine, die eine immunstimulierende, antivirale Wirkung entfalten, indem sie die Zellen gegen die Erreger abschotten.

Zum Zeitpunkt der Erstinfektion in China wurden keine Fledertiere auf dem Wildtiermarkt in der 11-Millionen-Metropole Wuhan angeboten, weil sie sich noch im Winterschlaf befanden. Hinzu kommt, dass die Viren, die Fledermäuse besiedeln, Menschen erst etwas anhaben können, wenn sie über einen Zwischenwirt modifiziert in den menschlichen Körper gelangen. Möglicherweise ist die Ansteckung auf dem dichtbevölkerten Wildtiermarkt von einem infizierten Menschen ausgegangen. Es ist aber auch möglich, dass es sich bei dem Erstkontakt um ein exotisches Wildtier, vielleicht ein Schuppentier, handelte und dass bei einer früheren Berührung mit dem Menschen entweder noch gar kein Virenbefall stattgefunden hatte oder schon eine Antikörperbildung ausgelöst worden war. Man kann die Seuche also erst völlig durchschauen und einen Ansatz zur Durchbrechung der Kettenreaktion aufspüren, wenn man das seinerseits immune Tier identifizieren kann, das als Zwischenwirt das Virus auf den Menschen als letztes Infektionsglied übertragen hat. Aber solange Menschen noch keine eigenen Antikörper bilden können, muss man auf einen künstlich entwickelten Impfstoff bauen, der uns diese Immunfunktion in kurzer Frist abnimmt.

Libellen – wendige Jäger im schillernden Gewand

Zeitlupe: Fliegende Libelle in Zeitlupe
Urheber: Joris Schaap
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Eine Haarspange aus meiner Kinderzeit hieß Libelle. Sie bestand aus einem aufgebogenen Oval, durch das ein beweglicher Dorn geführt wurde, der eine Haarsträhne waagerecht fixierend unterlief. Was sie mit dem flirrenden Insekt gemeinsam hat, erschließt sich erst bei genauerer Betrachtung.

Der Name Libelle ist bei der Haarspange wie bei dem Insekt eine bildhafte Ableitung. Lateinisch libra bedeutet Waage. Die Diminuitivendng -elle macht daraus eine „kleine Waage“. So elfenhaft der Name Libelle für das schillernde, durchsichtig geflügelte Wesen klingen mag, ist er in Wirklichkeit doch ganz profan hergeleitet: Betrachtet man den Körper einer Libelle, so kann man die T-förmig zum langgestreckten Leib sich rechtwinklig ausstreckenden gleichförmigen Flügelpaare wie Balken einer altertümlichen Handwaage ansehen.

Libellen sind hierzulande wohl die anmutigsten und farbigsten Insekten. Ob im Ruhezustand oder im Flug – sie wirken in ihrer spektralen Farbenpracht, der gläsernen Durchsichtigkeit ihrer feingeäderten Flügel, dem nervös wippenden, langgestreckten Leib und einem von riesigen, schwarzglänzenden Augenpaaren beherrschten Kopf, überirdisch schön und respekteinflößend. Unter den heimischen Fluginsekten sind sie mit einer Flügelspannweite von bis zu mehr als sieben Zentimetern die auffälligsten. Aus urzeitlchen Versteinernungen aus dem Trias und dem Carbon, als das Leben auf der Erde von Insekten beherrscht wurde, kann man ersehen, dass sie damals die zehnfache Größe erreichten.

In der Kunst beleben sie Jugendstilornamente als feingliedrige Wesen, die wie Schwäne, Elfen, Lilien und Blütenranken den dekorativen Charakter eines romantisch verklärten Zeitgeistes zum Ausdruck bringen.

Paarung der Libellen

Paarung der Libellen – Foto: Gerthorst78 – Creative Commons

Im Gegensatz zu anderen Fluginsekten können Libellen ihre Flügel im Ruhezustand nicht auf dem Rücken zusammenfalten. Der bewegliche Kopf, der sich deutlich vom Rumpf abhebt, wird beherrscht von zwei großen Facettenaugen. Drei weitere, mittig darüber angeordnete Augen, vermitteln dem optisch und flugtechnisch hochspezialisierten Insekt Angaben zum Stand des Horizonts und gewährleisten die Erhaltung des Gleichgewichts bei hoher Fluggeschwindigkeit. Außerdem ist der Kopf mit klauenartiken Mundwerkzeugen, Mandibeln, zur Ergreifung der Beute ausgestattet. Gerade sie sind die Merkmale, aus denen sich die zoologische Bezeichnung der Libellen herleitet: Odonata, Gezähnte. Etymologisch erkennt man darin griechisch δόντι, dónti und lateinisch dens, dentis Zahn.

Ein weiteres Merkmal hebt die Libelle von anderen geflügelten Insekten ab: Ihre Flügel bewegen sich unabhängig voneinander wie Rotoren, einer Technik, die sie in der Jagd besonders erfolgreich macht. Mitten im Flug kann sie abdrehen oder stehend verharren. Ihre maximale Fluggeschwindigkeit erreicht 50 km/h; ihr entrinnt keine Beute.

Diese Flugfertigkeiten haben sie zum Vorbild für einen Hubschrauber, einen Helikopter, gemacht.

Der Name Helikopter ist dem Griechischen entlehnt. Wörtlich übersetzt „Drehflügler“, setzt das Wort sich aus griechisch ἕλιξ hélix, Gen. ἕλικος helikos, Windung und πτέρον, ptéron, Flügel, zusammen.
Der griechische Namensbestandteil -pter, Hinweis auf Flügel, taucht in der biologischen Taxonomie häufig auf. Er ist allerdings schwer zu identifizieren, weil unserem phonetischen Empfinden der Laut pt fremd ist. Also trennt man das Wort Helikopter nicht, wie es seiner Herkunft und Zusammnsetzung entspricht: heliko-pter, sondern „*Helikop-ter“.

Ein Hubschrauber steigt und landet wie eine Libelle senkrecht. Und auch wie eine Libelle ändert er unmittelbar die Flugrichtung. Seine Flügel, die Rotoren, vermitteln das Bild voneinander unabhängig rotierender Libellenflügel, während ein langgestreckter, sich nach hinten verjüngender Flugkörper das Gleichgewicht hält.

Die Libelle ist ein Raubinsekt, ein Jäger, der alles ergreift, das er auf dem Wasser oder in der Luft überwältigen kann. Neben Insekten und Spinnen gehören sogar kleinere Libellen und Kaulquappen zu ihrem Beutespektrum. Man sieht Libellen meistens in der Nähe stehender, wasserpflanzenreicher Gewässer, wo ihre Entwicklung beginnt. Sie reicht von der Larve, der larva,, lateinsch Gespenst, Hülle, bis zum adulten Lebewesen, der imago, lateinisch Bildnis. Feuchtgebiete sind ihre bevorzugten Jagd-, Paarungs- und Brutstätten. Hier begegnet man Libellen im Tandemflug, einer speziellen, aufeinander abgestimmten Paarungsstellung. Das Männchen klammert sich dabei an das Weibchen und bringt sein Sperma in eine Öffnung am Hinterleib des Weibchens ein. Dieses lässt seinerseits die befruchteten Eier je nach Art ins Wasser oder eine ausgetrocknete Senke fallen oder klebt sie als Paket an senkrecht aufragende Wasserpflanzen, die den in aufrechter Haltung wachsenden Larven in ihrer frühen Entwicklung Halt geben. Dieses Larvenstadium ist das längste im Insektenleben der Libellen. Sie verbringen es nach dem Schlupf als hochspezialsierte Jäger im Wasser. Sie brauchen für ihr Wachstum, das mit mehreren Häutungen verbunden ist, eiweißreiche, tierische Kost. Ausgerüstet mit einem ausfahrbaren Fangkorb unter dem Kiefer machen sie Jagd auf alles, dessen sie habhaft werden.

Erst nach der Verpuppung der nach menschlichen Vorstellungen hässlichen, graubraunen Larve, die im schlammigen Uferbereich auf Beute lauert, erscheint das fertige Fluginsekt in seiner ganzen Schönheit. Der energiezehrende Lebensabschnitt als Imago ist nur von kurzer Dauer. Er dient der Vermehrung – der Kopulation und Eiablage. Damit hat das Insekt seine Bestimmung erfüllt und stirbt mit dem Ausgang des Sommers.

Libellen sind zwar in ihrer Jagdtechnik hochspezialisierte Raubinsekten. Entgegen aller Befürchtungen sind sie für Menschen ungefährlich. Sie haben keinen Giftstachel und ihre Beißwerkzeuge können nur ihren Beutetieren etwas anhaben.