Tägliche Archive: 11. Juli 2020

Die Deutung von trivial: Drei Wege mussten zusammenfinden

Der einfachste nicht-triviale Knoten

Der einfachste nicht-triviale Knoten
Bild: Baserinia
Lizenz: GNU Free Documentation License

Gerade im alltäglichen Sprachgebrauch ist trivial üblich. Es bedeutet ursprünglich „allgemein zugänglich“, mittlerweile „platt, abgedroschen“, im wissenschaftlichen Diskurs „unbedeutend, negligeabel“. Das Wort ist prägnant, enthält keine schwer zu merkenden griechischen Lautfolgen, die überdies schwierig zu schreiben sind. Es ist deshalb unkompliziert auszusprechen. Es stammt aus dem Lateinischen.

Das steht uns näher als das Griechische, das in fremder Schrift geschrieben wird. Die Römer haben bereits viele griechische Wörter in ihre Sprache übernommen. Das sind besonders die, die aus Wissenschaft und Kultur stammen. Sie sind als griechische Lehnwörter zu Anteilen romanischer Sprachen geworden.

Romanische Sprachen prägten die europäische Kultur. Daher sind Fremdsprachen, die traditionell neben Englisch gelehrt werden, Französisch und Spanisch. Doch auch die englische Hochsprache ist historisch von romanischer und griechischer Sprachtradition geprägt. Italienisch und Portugiesisch sind uns als zutiefst romanische Sprachen selbstverständlich. Nur Rumänisch ist eine Ausnahme. Auch das ist eine romanische Sprache. Der Name Rumänien weist auf seine Geschichte als römische Provinz hin.

Trivialer Knoten

Trivialer Knoten
Bild: YAMASHITA Makoto
Lizenz: GNU Free Documentation License

Alle europäischen Länder, in denen romanische Sprachen gesprochen werden, waren einmal römische Provinzen, in einer Zeit, als das Imperium Romanum mit dem Zentrum Rom nach damaliger Wahrnehmung ein Weltreich rund um das Mittelmeer – das mare nostrum – war. Das Römische Reich war so groß, dass es zunehmend unüberschaubarer wurde. Eine abgelegene Povinz wie Lusitanien (1), das heutige Portugal, wurde Veteranenkolonie. Thrakien, das heutige Rumänien, war in seiner Abgeschiedenheit vom kulturellen und politischen Machtzentrum Rom für Verbannungszwecke geeignet (2).

Diese allseitige Verflechtung bewirkt, dass drei, zu dem lateinischen Präfix tri- wird. Er ist aus dem Griechischen, tria, entlehnt. In vielen Wörtern, die man kaum noch als Kompositum oder als präfigiert erkennt, kommt es als Vorsilbe vor (3).

Wie kommt es nun zu zweiten Wortbestandteil -vial?

Ein komplexer Knoten wird in einen trivialen Knoten verwandelt

Ein komplexer Knoten wird in einen trivialen Knoten verwandelt
Bild: Kuchtact
Lizenz: Creative Commons

Auch hier ist ein lateinischer Ursprung unübersehbar. „via“ heißt Weg, Straße – ein Wort, das uns als Adverb mit der lokalen Bedeutung „über“ gebräuchlich ist. Die Zusammensetzung „tri-via“ lautet also etwa „Dreiweg“, aus trivium, „da, wo drei Wege zusammentreffen“. Dieses Trivium war im mittelalterlichen Universitätswesen ein Propädeutikum, ein vorbereitendes Studium, von dessen Basis aus man in die höheren Sphären anerkannter Wissenschaft vorzudringen vermochte. Das Trivium umfasste die Studienfächer Grammatik, Dialektik und Rhetorik Ihnen erst folgte das Quadrivium, der „Vierweg“. Dieser bestand aus den klassischen Fächern Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie. Als deren Grundvoraussetzung betrachtete man die Beherrschung der trivialen Kenntnisse von Dialektik, Rhetorik und Grammatik, also intellektuelle, rhetorische und sprachlogische Durchdringung der bevorstehenden Studien. Die Kenntnis der alten Sprachen – Latein und Griechisch – war für ein klassisches mittelalterliches Studium unabdingbar.

trivial“ war also ursprünglich das Adjektiv, das die hermeneutischen Grundlagen als Voraussetzung für ein wissenschaftliches Studium beschrieb.

(1) Die Etymologie des Namens Lusitania ist unklar. Sie geht wohl auf keltisch lus und tanus, „Stamm von Lusus“ zurück. Die Römer neigten zu einer Umdeutung und erkannten in lus lux, Licht, und bezogen dies auf die untergehende Sonne hinter der lusitanischen Atlantikküste.

(2) Der Dichter Ovid, der Verfasser unsterblicher römischer Liebeslyrik, die schon im damaligen Rom viel Beachtung erfuhr, wurde von dem sittenstrengen Kaiser Augustus nach Tomi, dem heutigen rumänischen Constanzja verbannt. Der erste römische Kaiser nämlich wollte Rom zu den konservativen Idealen von Gesellschaft und Familie zurückführen. Dazu passten die freizügigen Verse des Dichters nicht. Trotz vieler Eingaben – sogar an Tiberius, seinen Nachfolger, gelang ihm nie wieder eine Rückberufung nach Rom.

(3) tri-, aus lat. trēs, griech. tré͞is τρεῖς, τρία tría, bis aind. tráyaḥn, abgeleitet, ist enthalten in: Triumvirat, etwa „Drei-Männer-Verbindung“, was eine Drei-Konsuln-Regierung zur Sicherung vor einer Diktatur bezeichnet. Andere Beispiele sind Tribus, Tribun, Tribunal, Tribut, Tribüne, wobei ein Drittel des römischen Volkes zugrunde liegt. Auch in fachsprachlich findet man den Wortbestandteil tri- häufig, wenn eine Dreiwertigkeit – etwa bei chemischen Beriffen – vorliegt.